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Archiv-Artikel

Frankreich entdeckt D-Day zwei

Nicht nur Alliierte in der Normandie, sondern auch Kolonialsoldaten in der Provence sicherten 1944 die Befreiung Frankreichs. Morgen werden sie erstmals offiziell geehrt

PARIS taz ■ Wer hat Frankreich befreit? Auf diese Frage kennen Franzosen zwei Antworten. Erstens: „Wir“. Zweitens: „Die Alliierten.“ Dass neben der französischen Résistance und neben den von US-kommandierten alliierten Armeen auch hunderttausende Soldaten aus Afrika und Asien unter französischer Fahne für die Wende im Krieg gekämpft haben, ist in Vergessenheit geraten. Die Soldaten aus den Kolonien stellten mit beinahe 200.000 Mann das Gros der Truppen, die in der Nacht zum 15. August 1944 eine gigantische militärische Landung in der südfranzösischen Provence begannen. Binnen weniger Tage befreiten sie – zusammen mit weißen französischen und angelsächsischen Soldaten – die Großstädte Toulon und Marseille. Anschließend marschierten sie nach Norden.

Am 60. Jahrestag dieser militärischen Operation empfängt Präsident Jacques Chirac morgen 16 afrikanische Staatschefs sowie Repräsentanten vier weiterer afrikanischer Regierungen an Bord des Flugzeugträgers Charles-de-Gaulle. Es ist eine späte Geste der Anerkennung. Politisch ist sie umstritten. So protestieren 60 konservative Abgeordnete gegen die Teilnahme des Präsidenten von Algerien.

Hunderte Kriegsveteranen aus Nord- und Schwarzafrika sind eingeladen. Viele werden Orden erhalten. Anders als die Veteranen aus den westalliierten Ländern, die sich alljährlich in der Normandie feiern lassen, ist es für die meisten alten Männer aus den Exkolonien das erste Mal, dass sie in Frankreich geehrt werden.

Am 15. August 1944 waren sie die ersten, die zu je 150 Mann auf Schleppkähne verfrachtet und an Land gebracht wurden. Marokkanische „Goumiers“, senegalesische „Schützen“ und „Spahis“ sowie andere „Eingeborene“, wie sie damals hießen, fielen bei der Landung zu tausenden.

Insgesamt fielen im Zweiten Weltkrieg mehr als 40.000 Afrikaner und Asiaten aus den französischen Kolonien. Mehr als 70.000 wurden verletzt. Zahlreiche gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Viele waren wider Willen zu Befreiern geworden. Französische Kolonialbedienstete hatten sie zum Kriegsdienst verpflichtet.

Dankbarkeit zeigte das „Mutterland“ nicht. Schon während des Krieges bekamen die Befreier aus den Kolonien niedrigere Solde als ihre weißen Kameraden. Nach Kriegsende waren auch ihre Pensionen niedriger. 1959 – kurz bevor die Kolonien unabhängig wurden – fror Paris sie ganz ein. Das führte dazu, dass ein Veteran in Senegal bald nur noch ein Viertel der Pension seines französischen Kameraden bekam und der in Tunesien nur ein Zehntel. Erst im Jahr 2000 erklärte der Staatsrat, das oberste französische Gericht, diese Diskriminierung für unrechtmäßig. Die Regierung in Paris reagierte dreieinhalb Jahre später: Kurz vor der 60-Jahr-Feier erhöhte sie in diesem Frühling die Pensionen der Soldaten in den einstigen Kolonien – um durchschnittlich 20 Prozent.

In Frankreich in Vergessenheit geraten sind auch die blutigen Nachspiele des Krieges in den Kolonien. So meuterten im Dezember 1944 nach Dakar zurückgekehrte senegalesische Soldaten, um ihren Sold zu erhalten. Französische Soldaten eröffneten das Feuer – die Zahl der Toten wird auf mehrere Dutzend geschätzt. Ein halbes Jahr später brach ein Aufstand im algerischen Setif aus. Algerier nutzten die Jubelfeiern zur deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, um ihrerseits „Emanzipation“ zu fordern. Soldaten aus dem „Mutterland“ massakrierten rund 8.000 Menschen. In Madagaskar kam es 1947 zum Aufstand gegen die Kolonialherrschaft. Das „Mutterland“ schlug blutig zurück. Bilanz: 50.000 Tote.

DOROTHEA HAHN