: Kein innerchilenischer Gewaltakt
betr.: „Verrat in Santiago“ u. a., taz.mag vom 6. 9. 03
Seite I und II des taz-Magazins belehren, dass man gar nicht erst wagen sollte, fortschrittliche Veränderungen herbeizuführen, weil Arbeiter, wo sie Einfluss in den Fabriken bekommen, doch nur die Volkswirtschaft ruinieren, was dann – verständlicherweise – zum ordnenden Putsch führt. Ein Liter Milch für jedes Kind und zum ersten Mal ein Dach über dem Kopf für Abertausende lohnen solch romantischen Unfug nicht – zumal mit einem Präsidenten, der exzellenten Whisky, Frauen aus der Oberschicht und den Freitod angesichts seiner Mörder vorzieht.
Auf Seite VII wird das auf unsere Belange übertragbar: Die Köchin will gar nicht mitgestalten oder gar selbstverantwortlich handeln. Was oder wer die Menschen allerdings so unmündig hält, dass sie sich nicht rechtzeitig gegen Rentenklau beispielsweise organisieren, reim ich mir dann bei Bild und RTL zusammen, die ich endlich als Garanten gegen gefährliche Sozialromantik schätzen lerne. Ohnehin scheint die Welt nur noch elementar-menschlich begreifbar zu sein, was mir das Porträt auf Seite III erleichtert. Die „Witwe ohne Totenschein“ geht glatt durch als proletarische Besetzung einer griechisch-fatalistischen Tragödie. So wird die um sich greifende Resignation emotional abfederbar.
Lichtblick verspricht auf Seite VI der Joschka-Fischer-Pfad ins chilenische Verteidigungsministerium. So wird Geschichte gemacht: Mit Michelle Bachelet als Vorbild könnte es sogar eine Köchin schaffen. Aber das will sie ja nicht. Der Fotograf auf der Doppelseite mittendrin war nie in einer Partei oder Organisation und ist „meine eigene Opposition“, das politische Pendant zur Ich-AG also. Das müssen alle noch begreifen, die sich etwa als Globalisierungsgegner organisieren und dann irgendwo an einem Ort zusammen sein wollen, um sich Gehör zu verschaffen.
Dagegen: Illusionistischer Sozialromantiker oder Utopist ist nicht automatisch, wer am Utopistischen festhält, und sei es nur als Richtwert gegen vermeintlich Unabänderliches. Gegen die Denunziationen vom Samstag setze ich drei Bände Prinzip Hoffnung von Bloch und Víctor Jaras Lied an die Huren mit seiner Ermunterung, sich politisch zu beteiligen. Warum der eine in die Emigration verjagt wurde, und warum sie den anderen als einen der Ersten erschlagen haben, warum sie ihm vorher beide Gitarrenhände zertrümmert haben, das wussten diese Satrapen sehr wohl. Vor diesem Funken hatten sie die meiste Angst. Und es ist dieser Funke, der den Autoren ebenso fehlt wie etwas mehr Respekt vor Menschen, die etwas versucht und gewagt haben.
RAINER DIEHL, Magdeburg
Heike Haarhoffs interessanter, auf den Recherchen von Wilfried Huismann basierender Beitrag wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet.
Der renommierte Filmregisseur Constantin Costa-Gavras hat die Ereignisse des 11. September 1973 einige Jahre später in dem sehenswerten Streifen „Missing“ thematisiert. Der Film, der den realen Fall des von der chilenischen Junta ermordeten US-amerikanischen Journalisten Charles Horman aufgreift, prangert ganz unverhohlen die Zusammenarbeit der CIA mit den Putschisten an. Sollte auch Costa-Gavras einer Legende aufgesessen sein?
Der Verfasser dieser Zeilen meint sich zu erinnern, vor einiger Zeit gelesen zu haben, dass sich US-Außenminister Colin Powell zumindest indirekt für die Mitwirkung der Regierung Nixon am Sturz Alliendes entschuldigt hat. Wenn dem wirklich so sein sollte, wäre das angesichts der neuen Quellenfunde wohl die seltsamste Entschuldigung, die je einem Politiker über die Lippen gekommen ist. UWE TÜNNERMANN, Lemgo
Aus der Frage, ob Allende ermordet wurde oder Selbstmord beging, ausgerechnet 30 Jahre später eine sensationell neue Erkenntnis machen zu wollen, ist eigentlich nur Ausdruck der geringen Sachkenntnis über den heutigen Stand der Diskussion in Chile. Es hätte gereicht, die vorhandene Literatur zu konsultieren. Dieses Thema wurde nämlich bereits 1990 ausführlich erörtert, als die erste Regierung der Concertación unter Präsident Aylwin die Exhumierung der Leiche Allendes anordnete, um ihn für ein offizielles Staatsbegräbnis von Valparaíso nach Santiago zu überführen. Bis dahin war es der Witwe Allendes selbst nicht klar, ob es sich bei dem von den Militärs wenige Tage nach dem Putsch in aller Eile durchgeführten Begräbnis tatsächlich um ihren Mann handelte. Die Militärs hatten nicht zugelassen, dass sie ihren Mann identifizieren konnte. Dass Allende Selbstmord beging, hat damals zuallererst sein Leibarzt Dr. Gijón bestätigt. Er hat als Erster die Leiche von Allende gesehen, unmittelbar nach seinem Tod, als die Überlebenden der Bombardierung den Regierungspalast verließen.
Dass er und viele andere danach nach Kuba ausreisten und dass seine Aussage viele Jahre vehement bestritten wurde, weil es nicht der offiziellen Aussage der Solidaritätsbewegung entsprach, ist auch allgemein bekannt. Sogar heute noch gibt es Leute in Chile, und vor allem im Ausland, die diese Meinung vertreten. So ist es aber nun mal mit der Meinungsfreiheit.
Außerdem, nichts gegen neue Quellenfunde, aber dass ein Leibwächter von Allende viele Jahre die „wahre“ Wahrheit mit sich trug und der Weltöffentlichkeit nicht preisgab, sondern die ganze Zeit auf einen deutschen Enthüllungsjournalisten wartete, ist nicht nur eurozentristisch, sondern schlicht und einfach lächerlich. […]
Es ist bemerkenswert zu behaupten, der Militärputsch sei ein innerchilenischer Gewaltakt gewesen. In diesen Tagen ist das letzte Buch von Patricia Verdugo in Santiago erschienen. Unter anderem belegt Verdugo gerade mit von der US-Regierung freigegebenen Dokumenten, dass die CIA sehr wohl eine Rolle bei der Destabilisierung der Regierung Allendes gespielt hatte, vor allem während des Streiks der Transportunternehmer im Oktober 1972, der die Wirtschaft lahm legte. Leon Vilarín, damals Präsident der Transportunternehmer, hat nach dem Putsch zugegeben, dass die Lastfahrer finanzielle Unterstützung vom Ausland bekommen hatten, um den Streik durchzuführen. Von wem wohl? Etwa von „Brot für die Welt“? […] TITO VILLANUEVA, Hamburg
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