: Arafat umzingelt
Israelische Truppen besetzen Kulturministerium in Ramallah. Neuer Palästinenserpremier verschiebt Abstimmung über Interimskabinett
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Die israelische Armee bereitet sich offenbar auf die Ausweisung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat vor. Gestern besetzten Soldaten das nur wenige hundert Meter von der Muqataa, dem Amtssitz Arafats, entfernt liegende Kulturministerium. Israels Premierminister Ariel Scharon, der aufgrund der jüngsten Terroranschläge vorzeitig seine Indienreise abgebrochen hatte, berief am Morgen die Minister zu sich, um über Maßnahmen infolge der jüngsten Anschläge zu beraten. Auf der Agenda standen auch erneute Militärinvasionen.
„Es wird für niemanden, der israelisches Blut vergießen will, Asyl geben“, kommentierte Verteidigungsminister Schaul Mofas die Beratungen. Der designierte palästinensische Premierminister Achmad Kurei (Abu Ala) verschob unterdessen die parlamentarische Abstimmung über die Zusammensetzung seines Interimskabinetts auf den kommenden Sonntag.
Aus israelischen Regierungskreisen verlautete, dass „der Landesverweis Arafats näher ist denn je“. Der rechts-nationale Minister Avigdor Lieberman forderte gar, dass Arafats Schicksal dem „von Ussama Bin Laden und Scheich Ahmed Jassin“ gleichen solle. Letzterer gilt in Israel als vogelfrei. Obschon das Kabinett mehrheitlich für ein Ende der Ära Arafats, in welcher Form auch immer, eintritt, zögert Israel mit Blick auf Washington noch mit einer derartigen Maßnahme. Das Weiße Haus hatte erst am Anfang der Woche von „übereilten Schritten“ dringend abgeraten.
Aus Jerusalem verlautete, dass das erhöhte Truppenaufgebot in Ramallah vorerst lediglich „ein Warnsignal“ an die Adresse Arafats sei. Oppositionsführer Schimon Peres zeigte sich beunruhigt angesichts des „schweren Fehlers“, den die Regierung begehen würde. Auch Schabak-Chef Awi Dichter warnte, dass ein Landesverweis „Israel mehr Schaden als Nutzen“ bringen werde, und plädierte stattdessen auf eine verschärfte Isolierung des Palästinenserpräsidenten.
In der palästinensischen Bevölkerung wurde die Möglichkeit eines Landesverweises des „Rais“, des Palästinenserpräsidenten, weitestgehend mit Gelassenheit aufgenommen. „Wo immer sie ihn hinschicken, er ist derjenige, der das Sagen hat“, meint Salim, ein junger Fotograf aus Gaza. Auch von Tunis aus könne Arafat die Geschäfte zu Hause regeln – eine Sorge, die auch der israelische Geheimdienst teilt. Sollte Arafat exekutiert werden, würde „Israel ihn zu einem neuen Salach e-Din“ machen, dem arabischen Helden, der im 12. Jahrhundert die Kreuzritter schlug und Jerusalem eroberte.
Haidar Abd-el Schafi, ehemals unabhängiger Abgeordneter aus Gaza, rechnet nicht mit Maßnahmen gegen den Palästinenserpräsidenten. „Warum sollten sie ihn ausweisen? Den Israelis kann doch nur recht sein, wenn sich die Führungsleute gegenseitig die Köpfe einschlagen“, meint er mit Blick auf die jüngsten innerpalästinensischen Auseinandersetzungen.
Die wachsende Bedrohung Arafats mag dennoch mit ein Grund für die geplante Konstellation der Übergangsregierung in Ramallah sein. Abu Ala verfolgt erklärtermaßen ein „auf sieben bis zehn Sitze reduziertes Kabinett, das sich zuallererst mit der Sicherheitslage befassen will“. Zu seinen Kandidaten gehört der jüngst von Arafat ins Amt des Sicherheitsberaters berufene Dschibril Radschub. Im Amt bleiben wird voraussichtlich der von den USA unterstützte Finanzminister Salam Fajad sowie die ehemalige Friedensdelegierte und Menschenrechtsaktivistin Hannan Aschrawi.
Die parlamentarische Abstimmung über das Kabinett wurde unterdessen verschoben, da Israel den aus Gaza anreisenden Abgeordneten die entsprechenden Genehmigungen versagt hatte.