: In Gottes Hand
Nierenkrankheit und Krebs eines Familienvaters sind kein Abschiebehemmnis, befinden die Behörden. Eine Pfarrerin glaubt ihnen nicht und bietet der Familie Özmen aus dem Osnabrücker Land Schutz vor dem staatlichen Zugriff
von Heiko Ostendorf
Emrah sitzt auf der Mauer vor der Christus-Kirche. Sein Vater und sein Bruder schauen im Keller Fernsehen. Seit etwas mehr als zwei Wochen wohnt Familie Özmen schon in Lendringsen im Sauerland. Ihr Zuhause liegt knapp 160 Kilometer weiter nördlich: Bersenbrück ist eine kleine Stadt im Osnabrücker Land. Seit 15 Jahren leben die Kurden dort. Jetzt will der Landkreis sie abschieben.
„Die Entscheidung trifft das Bundesamt für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“, erklärt Kreis-Sprecher Volker Köster. „Wir führen nur aus.“ Der Amtsarzt habe die Reisefähigkeit des Vaters, Fikret Özmen bestätigt. Nun müsse die Abschiebung erfolgen. Mit dieser Entscheidung konnte sich Gisela Kuck nicht abfinden. Seit Jahren kümmert sich die 78-Jährige um die Özmens. Schnell machte sie eine Gemeinde ausfindig, die ihnen Kirchenasyl gewährt.
Die Zeit drängte: Der Familienvater leidet an Krebs und ist nierenkrank. Alle drei Tage muss er sich an einen Dialyse-Apparat anschließen lassen. „Diesen schwerkranken Mann darf man nicht abschieben“, erklärt Pfarrerin Monika Weingärtner-Hermanni ihre Haltung. Es sei „nicht gewährleistet, dass er in der Türkei ausreichend versorgt wird.“ Darum habe sie den 54-Jährigen und seine Familie aufgenommen. Als sie jedoch erfuhr, dass die Behandlung etwa 10.000 Euro im Monat verschlingt, musste sie erst mal schlucken: „Ich kann ja niemanden ins Kirchenasyl nehmen, mit dem Wissen nach ein bis zwei Monaten sind wir pleite.“
Doch auch hier war bald Hilfe gefunden: Ein katholisches Krankenhaus in der Nähe hat die Dialyse übernommen – kostenlos. Weingärtner-Hermanni: „Das war für mich unglaublich.“
Abdullah und Emrah langweilen sich in ihrem Unterschlupf. „In Bersenbrück konnte ich überall hingehen“, sagt Emrah mit gesenktem Kopf. „Hier kann ich nur puzzeln oder so.“ Emrah ist 14 Jahre alt. Seinem kleinen Bruder geht’s nicht anders: Ihnen fehlen die Freunde.
Durchs Auswärtige Amt ließ der Landkreis Osnabrück bislang prüfen, ob der Familienvater in der Türkei wirklich ausreichend versorgt würde. „Es muss sichergestellt sein, dass direkt nach Ankunft des Vaters am Flughafen die ärztliche Versorgung gewährleistet ist“, so Köster. Niemand, so versichert er, werde in den Tod abgeschoben. Gestern traf die Antwort aus Berlin ein: Ein Hemmnis liege nicht vor. Pfarrerin Weingärtner-Hermanni zweifelt an der Auskunft. Sie hat eigene Nachforschungen angestellt. Dabei hilft ihr auch Eren Keskin, die am 1. September den Aachener Friedenspreis erhält. Nach dem Festakt will die türkische Menschenrechtlerin die Familie im Sauerland besuchen.
Wenn die Abschiebung durchgesetzt wird, wird die Versorgung des Familienvaters schwierig: Von seinem Heimatdorf sei es eine Tagesreise bis zur nächsten Dialysestation, erzählt Özmen. „Die Abschiebung erfolgt ins Heimatland, nicht in einen Ort“, erwidert der Landkreis-Sprecher. „Wo die Leute wohnen, ist ihr Ding“. Doch Aufnahme fänden die Kurden nur bei Angehörigen, weiß die besorgte Pfarrerin. Sie befürchtet, dass Fikret die Behandlung nicht finanziert bekommt. Dafür müsste er die so genannte „grüne Karte“ erhalten. Laut türkischer Botschaft entscheidet über den Antrag der jeweilige Gouverneur. Sechs Wochen dauert dessen Bearbeitung laut Gisela Penteker, Türkeispezialistin bei den „Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs“. Oft sei die Wartezeit deutlich länger.
Die Mutter Fadile liegt mittlerweile im Krankenhaus. Sie hat den Stress des Abschiebe-Verfahrens nicht verkraftet: Ihr Blutzucker ist in die Höhe geschnellt. Für die Kinder wäre die Türkei völlig neu und fremd. „Ich möchte gerne in Deutschland bleiben und zurück nach Bersenbrück.“ Abdullah flüstert das fast.
Einer seiner Spielkameraden hat ihn am Wochenende überrascht. Tom Cordes ist mit seinen Eltern die weite Strecke gefahren, um den jungen Kurden zu besuchen. Er hat Geschenke mitgebracht: Die Klasse und viele Freunde haben für den Jungen und seine Familie gesammelt. „Weil er immer ein guter Freund war“, sagt Tom. Ein Beispiel für gelungene Integration.