piwik no script img

Archiv-Artikel

Klagen gegen Hartz IV sollen kosten

Der Bundesrat hat parteiübergreifend beschlossen, an den bisher kostenfreien Sozialgerichten Gebühren einzuführen. Mindestens 75 Euro sollen fällig werden. Der Vorstoß hat im Bundestag Chancen. SPD-Justizministerin Zypries unterstützt ihn

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Die Einführung des neuen Arbeitslosengeldes II (Alg II) wird jede Menge Prozesse nach sich ziehen – ums Prinzip und zur Auslegung der neuen Regeln. Gleichzeitig sollen nach dem Willen des Bundesrats aber Verfahren vor den Sozialgerichten künftig Geld kosten, bisher waren sie kostenlos. Zwar ist die Einführung von Gebühren keine direkte Folge von Hartz IV, der zeitliche Zusammenhang ist jedoch brisant.

An den Sozialgerichten werden alle Prozesse verhandelt, die mit der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu tun haben. Ab Jahreswechsel sind die Sozialgerichte außerdem für Konflikte um die Sozialhilfe zuständig, die bisher am Verwaltungsgericht angesiedelt waren. Normalerweise heißt es in der deutschen Justiz: Wer den Prozess verliert, zahlt die Kosten. An den Sozialgerichten galt dies bisher aber nicht, für die Versicherten war das Verfahren stets gebührenfrei. Die niedrige Hemmschwelle sollte dafür sorgen, dass auch sozial Bedürftige den Weg zum Gericht wagen.

Doch mit großer parteiübergreifender Mehrheit hat der Bundesrat eine Initiative gestartet, um auch an den Sozialgerichten Gebühren einzuführen. Im Frühjahr beschloss er einen entsprechenden Gesetzentwurf. Im Herbst soll der Bundestag nachziehen. Wer klagt, müsste künftig eine pauschale Verfahrensgebühr von 75 Euro bezahlen, sonst beginnen die Richter erst gar nicht mit der Arbeit. Nur wer den Prozess gewinnt, bekommt das Geld zurück.

Den Ländern geht es weniger um neue Einnahmen, sondern um eine „erhebliche“ Entlastung der Sozialgerichte. Die Zahl der offensichtlich aussichtslosen Klagen soll reduziert werden, so der Gesetzentwurf. Tatsächlich ermuntert die Kostenfreiheit auch Querulanten, jedes Schriftstück einer Sozialbehörde, mit der sie über Kreuz liegen, vor Gericht anzufechten. Solche Klagen sind in der Regel zwar unzulässig, machen aber dem Gericht Arbeit und verursachen dem Sozialversicherungsträger Kosten. Noch häufiger sind unwirtschaftliche Klagen um Kleinigkeiten oder gegen eine ständige Rechtsprechung. Der Präsident des Sozialgerichts Dresden, Stefan Gassner, spricht von 10 bis 20 Prozent „überflüssiger“ Klagen.

Die Gebühren-Gegner fürchten, dass nach der Reform auch viele Erfolg versprechende Klagen unterbleiben. „Der Zugang zum Sozialgericht muss so einfach wie möglich bleiben“, fordert DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer. Immerhin rund ein Viertel der Sozialgerichtskläger gilt als sozial bedürftig.

Unsozial würde die Sozialjustiz aber auch mit Einführung der geplanten Gebühren nicht. Wer die Verwaltung nur auf einen Rechenfehler oder ein Missverständnis aufmerksam machen möchte, kann wie bisher gegen einen Bescheid kostenlos Widerspruch einlegen. Außerdem ist eine Gebühr von 75 Euro noch relativ moderat. Das Land Baden-Württemberg, auf dessen Initiative der Gesetzentwurf zurückgeht, wollte ursprünglich 150 Euro verlangen. Außerdem könnten alle, denen ein Prozess zu teuer ist, künftig Prozesskostenhilfe beantragen – wie in anderen Gerichtszweigen auch. Voraussetzung hierfür ist, dass die Klage nicht von vornherein aussichtslos scheint. Schließlich sollen Prozesse um Sozialhilfe (für nicht Erwerbsfähige) auch künftig kostenlos bleiben.

Noch ist offen, ob der Ländervorstoß im Bundestag Erfolg hat, Die Regierung ist gespalten. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) gilt als Gegnerin. Sie will nach dem Ärger um die Praxisgebühr nicht auch noch eine Prozessgebühr einführen. Dagegen hält Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) Gerichtsgebühren für unproblematisch.