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Archiv-Artikel

„Was Sie erzählen, ist Medizin gegen Glatzen“

Die Aktivisten vom Bund der Verfolgten des Naziregimes sind immer auf Tour, trotz ihres hohen Alters. Auf zahlreichen Veranstaltungen berichten sie über die Vergangenheit. Aber der Verein leidet auch unter Nachwuchsproblemen

Die Gehwegplatten vor dem ehemaligen Verlagsgebäude des Neuen Deutschland am Franz-Mehring-Platz sind rissig. Das Grünzeug vor dem Haus bedürfte dringend gärtnerischer Pflege, und im Gebäude riecht es nach Putzmitteln. Doch wer hier im sechsten Stock die Tür mit dem kleinen Schild „VVN/BdA“ öffnet, erlebt eine Überraschung. Statt Muffigkeit strahlen drei Männer Energie und Lebendigkeit aus. Dabei ist der Jüngste des Trios 60, der Älteste 88 Jahre alt: Kurt Goldstein, Hans Coppi, Kurt Hälker. Wäre es nach den Nationalsozialisten gegangen, würde keiner der drei mehr leben.

Goldstein, „deutscher Kommunist jüdischer Herkunft“, konnte sich einer Festnahme durch die Nationalsozialisten in letzter Minute entziehen und floh 1933 nach Palästina. Doch dann wollte er nicht im Exil bleiben. Er trat in die Internationalen Brigaden ein, die in Spanien die Republik gegen Franco verteidigen. Als die Republikaner Ende 1938 verloren, floh Goldstein mit vielen anderen Interbrigadisten nach Frankreich. Dort herrschte bald das mit den Deutschen kollaborierende Vichy-Regime, Goldstein wurde interniert und im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert. In einem Außenlager des KZ arbeitete er dreißig Monate unter Tage – bis die Alliierten ihn retteten.

Coppis Eltern wurden von den Nationalsozialisten als Mitglieder der Berliner Sektion der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ unerbittlich verfolgt. Im Spätsommer 1942 wurden die Freundes- und Widerstandskreise um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen zerschlagen, 49 Menschen, darunter Coppis Eltern, wurden hingerichtet.

Kurt Hälker war 19, als er mit der Wehrmacht 1941 in Paris einmarschierte. Knapp eineinhalb Jahre später schloss er sich der „Travail Allemand“ an, einem Netzwerk deutscher Widerstandskämpfer, die der französischen Résistance zusammen arbeiteten. Heute organisiert Hälker Ausstellungen über die Geschichte der Travail Allemand und spricht an Schulen. Schließlich leben nur noch sehr wenige seiner ehemaligen Mitstreiter – der älteste ist 95. „Er ist wirklich einer der Jüngeren“, lacht Kurt Goldstein. Trotz seines hohen Alters hat der Ehrenpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees gerade wieder seine „Thüringen Tour“ hinter sich – zwei Wochen, in denen er von Schule zu Schule zieht und über seine Erfahrungen im Nationalsozialismus spricht. Der „Jüngere“ und der „Ältere“ sind sich einig, dass in den letzten zwei Jahren das Interesse von Schülern an Veranstaltungen mit Zeitzeugen zugenommen habe. Goldsteins Schlüsselerlebnis: Der Dank einer afrodeutschen Schülerin an einem Gymnasium in Rostock: „Was Sie erzählen, ist die beste Medizin gegen die Glatzen.“

Doch bei allem Optimismus haben die drei Männer derzeit vor allem ein Ziel: Jüngere für die Arbeit ihres Dachverbandes, den seit einigen Jahren aus West und Ost zusammengesetzten „Bund der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten“, zu gewinnen. Denn: „Wir sehen uns inzwischen am häufigsten bei Beerdigungen“, stellt Hälker nüchtern fest. Rund 12.000 Mitglieder hat der VVN/BdA. Doch Coppi sagt leise, es werde schwieriger, jüngere Leute für die Mitarbeit zu gewinnen. „Entweder sind die in eigenen Gruppen organisiert, oder sie wollen sich gar nicht organisieren, sondern einfach aktiv sein.“ HEIKE KLEFFNER