piwik no script img

Archiv-Artikel

Bollywood trifft auf Bolle

Inder in Berlin: Die Beziehungen Berlins mit dem indischen Subkontinent begannen mit der christlichen Überzeugungsarbeit Berliner Missionare. Heute ist Berlin im Bollywood-Fieber, trinkt Ayurveda-Tee und jedes Kind kennt Samosa und Pakora

von MONA MOTIRAMANI

Avnish Lugani sitzt in einem winzigen Büro in seinem kleinen Geschäft in der Cauerstraße in Charlottenburg. Der kleine Mann aus dem Punjab ist praktisch und versteht es, die engsten Räume bis hinauf zur Decke mit allerlei Waren aus allen indischen Regionen anzufüllen. Der 70-jährige kam 1969 nach Berlin – als Tierarzt. Als er aber feststellen mußte, dass die Berliner erschreckend wenig von seiner Heimat wussten, wollte er ihnen seine Kultur näher bringen. 1973 eröffnete Lugani seinen kleinen Neu-Delhi-Shop.

Drei Jahrzehnte später ist Berlin im Bollywood-Fieber, tanzt auf Goa-Parties und bestellt ganz selbstverständlich Samosa, Pakora und Chutney beim Inder um die Ecke. Der „Computer-Inder“ ist zu einem feststehenden Begriff in der Softwareszene der Hauptstadt geworden und – ein vorläufiger Höhepunkt des kulturellen Austausches: Indien ist in diesem Jahr das Schwerpunktland der heute beginnenden Asien-Pazifik-Wochen.

Begonnen hat die Fernbeziehung Berlin-Indien zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Damals trafen im Auftrag des dänischen Königs die ersten protestantischen Missionare aus Berlin in Indien ein. Insbesondere die Gossner Mission des Pastor Johannes Gossner schickte ihre Missionare später vor allem in Gebiete wie Bihar und Assam. Daher ist die „Gossner Evangelical Lutheran Church in Chotanagpur und Assam“ heute Partnerkirche von Berlin-Brandenburg. Die ersten indischen Studenten kamen dann 1876 nach Berlin.

Lange lebten in Berlin stets einige indische Migranten – bis hinein in die Nachkriegszeit nie mehr als ein- bis zweihundert. Interessanter wurde Berlin erst mit dem Wirtschaftswunder. Damals suchte Berlin händeringend Ärzte und Ingenieure. Eine Reihe von indischen Migranten kam und heuerte bei technischen Großunternehmen wie DaimlerBenz oder den Schindler-Aufzugsfirmen an. Die Berliner nahmen die Kollegen wohl kaum wahr. Sie waren damit beschäftigt, sich am Wachstum der Wirtschaft und ihrer eigenen Speckröllchen zu erfreuen.

Unterdessen holten die indischen Arbeitskräfte ihre Familien nach – und blieben. Sie sind heute Rentner, und junge, indischstämmige Ärzte oder Universitätsdozenten bilden als Enkel bereits die dritte Generation der Einwanderer.

Auch Ostberlin empfing Inder. Auch dort nur wenige, die zum Studium in die DDR kamen. Sie mussten, laut Abkommen, nach Beendigung des Studiums in ihre Heimat zurückkehren.

Westberlin hingegen wurde für Migranten aus allen Teilen Indiens attraktiv. Nach dem Mauerbau herrschte weiter Arbeitskräftemangel, den die Inder kompensieren halfen. Aber auch Studenten kamen. Gemeinsam mit alten und neuen indischen Arbeitskräften gründeten sie Clubs und Vereine, in denen sie Sprache, Kultur und Religion ihrer eigenen Landesregion pflegten. Jeder Verein feiert seine eigenen traditionellen Feste. „Einheit in der Vielfalt“: so lautet auch das Motto der hier lebenden Inder, deren Heimatstaat aus 28 Unionsstaaten besteht. Selbst die indischen Damen haben einen eigenen Club gegründet: „Ladies Corner“ heißt er, wo sie miteinander auf Hindi, der offiziellen Amtssprache, plaudern.

Auf Berlins Straßen zunehmend präsent sind zahlreiche indische Restaurants. Gab es im Jahre 2000 nur knapp 20 indische Restaurants, zählen Restaurantführer heute schon rund 55. Zugleich ist von der britischen Insel die Welle der Bollywood-Filme und der Bhangra-Beats herübergeschwappt. Die Kinos zeigen indische Rührstücke mit musikalischen Einlagen, die vom Berliner Publikum begeistert aufgenommen werden. So hopsen Youngsters auf indischen Desi-Parties zu Bhangra-Rhythmen, die der 37-jährige Arun Sharma, ein Nachkomme der ersten Generation, im Kesselhaus der Bierbrauerei auflegen läßt. Die indienschwärmerische Flower-Power-Generation kocht unterdessen nach Kochrezepten der indischen Ayurveda-Heilküche und hält sich mit Ayurveda-Kosmetik und -Wellnesskuren die Zipperlein vom Hals.

Neu-Delhi-Shop-Besitzer Lugani, der die Produkte der Jahrtausende alten indischen Naturheilkunde schon in den 70er-Jahren hier anbot, hatte damals Pech. In der Zeit des Flower-Power wollten alle nur Seidenschals und Räucherstäbchen. Ayurveda ist erst jetzt ein Renner. Doch Avnish Lugani ist müde, nach 30 Jahren mit dem Laden fehlt ihm die rechte Lust. Um neue Produkte einzuführen, müsste er in einen geräumigeren Laden umziehen. Könnte er das überhaupt noch? Der gläubige Hindu lächelt. Er hat noch nichts entschieden – und wartet auf die göttliche Inspiration.