Ein Hauch von Krise

Die deutschen Volleyballer spielen bei der Europameisterschaft im eigenen Land standesgemäß um Rang sieben. Nun wird unsinnigerweise sogar über Bundestrainer Stelian Moculescu diskutiert

aus Berlin FRANK KETTERER

Die Krisenstimmung begann Ende des zweiten Satzes und es war leicht, das zu erkennen: Stelian Moculescu stand wie immer am Spielfeldrand, aber er tat dort nicht, was er immer tat. Der Bundestrainer ballte nicht die Fäuste vor Begeisterung, klatschte seinen Spielern nicht aufmunternd Beifall, gab nicht leise Fingerzeige für den nächsten Angriff und lächelte auch nicht zufrieden, wie er es doch einige Male getan hatte in den zurückliegenden Tagen. Diesmal wurde der Trainer der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft einfach wütend, richtig wütend sogar, und man konnte das daran erkennen, dass er sich sein feines Jacket von den Schultern zerrte und es kraftvoll zu Boden schmetterte.

Der kleine Vulkanausbruch zeigte Wirkung, allerdings nur kurzfristig: Die deutschen Schmettermänner gaben danach keinen Punkt mehr ab, gewannen den zweiten Satz gegen Polen mit 25:23 und glichen somit zum 1:1 Satz-Gleichstand aus. Das aber war‘s dann auch: Den Krimi im dritten Durchgang verlor die DVV-Auswahl nach sieben nervenaufreibenden Satzbällen mit 32:34, den vierten nach 14:10-Führung mit 22:25, womit schlussendlich auch die 1:3-Niederlage gegen Polen festand – und damit, dass Deutschland bei der EM im eigenen Land nicht besser abschneiden würde als auf Platz sieben (darum wurde bei Redaktionsschluss noch geschmettert). Das wiederum war der Moment, in dem die Krisenstimmung vollkommen über die deutschen Volleyballer gekommen war.

Stelian Moculescu wollte dazu gar nicht mehr all zu viel sagen. Er sah sehr mitgenommen aus und seine Augen steckten voller Sorge, die Sorge ums eigene Werk. Dann sagte Moculescu: „Alles, was sich die Mannschaft erarbeitet hat, wird wieder kaputt gemacht.“ Das ist ein sehr trauriger Satz – und ein sehr wahrer. Und wie wahr er ist, konnte nur eine Tür und ein paar Meter weiter überprüft werden. Dort stand Werner von Moltke, der Verbandspräsident, und gewährte einer Reporterschar Einblick in seine Sicht der Dinge. Von Moltke, ein ehemaliger Zehnkämpfer, ist bekannt für deutliche Worte, und auch diesmal war er nicht bereit, sie schuldig zu bleiben. Dass es doch möglich sein müsse, dass die Nummer 22 der Welt, also Deutschland, auch mal die Nummer 12, also Polen, schlägt, zumal im eigenen Land und bei den Voraussetzungen. Die seien in Deutschland nämlich auch aus volleyballerischer Sicht nicht die schlechtesten, wie der Graf befindet, der sich im übrigen sicher ist, „dass es nicht allen, die uns schlagen, besser geht.“ Wie auch immer: Bei den drei Niederlagen in Leipzig (gegen Frankreich sowie Italien) und in Berlin (gegen Polen) habe man jedenfalls „wieder den Volleyball-Alltag“ erlebt – und weil der in Deutschland zuletzt, zumal vor der EM, von eher trauriger Stimmung geprägt war, fiel auch des Präsidenten Bilanz traurig aus, zumal er seine Brandrede mit einem hübschen Feuerwerk zu krönen wusste: Als i-Tüpfelchen auf die Krisenstimmung setze von Moltke nämlich die Botschaft, dass die deutsche Mannschaft mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr in der von 16 auf 12 Teams reduzierten Weltliga mitspielen darf. Zu wenig Zuschauer, zudem kein TV-Sender, der die Übertragung der Spiele garantiert – da fackelt der internationale Verband nicht lange.

Als von Moltke auch noch diese Hiobsbotschaft unters Reportervolk streute, war wiederum der für das deutsche Volleyball schlimme Moment gekommen, in dem alles in Vergessenheit geraten sollte, was ein paar Tage zuvor noch so wunderbar gestrahlt hatte. Die begeisternden Vorrundensiege gegen die Slowakei, Tschechien und Spanien zum Beispiel – und der damit verbundene Umstand, dass die deutsche Mannschaft dort schon ihr vor der EM propagiertes Ziel, die Teilnahme an der Endrunde in Berlin, erreicht hatte. Stattdessen trat nun plötzlich die Trainerfrage in den Vordergrund, und das nicht nur wegen der Niederlage gegen Polen. Stelian Moculescu, der die am Boden liegende deutschen Volleyballmänner in vierjähriger Sisyphusarbeit überhaupt erst wieder ans Weltniveau herangeführt hat, hat stets erklärt, dass er die Teilnahme an der Weltliga als Grundvoraussetzung für sein segensreiches Wirken sieht. Nur dort, so Moculescus Argumentation, im sportlichen Vergleich mit den Weltbesten also, könnten seine Spieler sich fortbilden – und selbst wieder Weltklasse werden. Fällt die Fortbildungsmaßnahme weg, fehlt dem Bundestrainer ein wichtiger Baustein – ob er unter diesen Umständen bereit ist, das Amt weiter zu führen, wird sich erst in den nächsten Tage klären. Die Enttäuschung, bei der EM nicht doch – was durchaus möglich gewesen wäre – ein bisschen mehr erreicht zu haben, wird ihm die Entscheidung nicht leichter machen.

Ein Nein des gebürtigen Rumänen indes wäre so ziemlich das schlimmste, was dem deutschen Männer-Volleyball wiederfahren könnte. Wie prächtig sich die Schmettermänner unter Moculescu entwickelt haben, hat man nämlich auch bei der EM sehen können, in den Vorrundenspielen in Karlsruhe, man darf das jetzt nur nicht einfach vergessen. Dort stand eine Mannschaft auf dem Feld, die mit ihrem mutigen und teilweise auch hochklassigen Volleyball entzückte, selbst in Leipzig, im Spiel gegen Frankreich nämlich, war das noch der Fall. Und überhaupt, auch das sollte nicht in Vergessenheit geraten: Bei dieser EM hat Deutschland lediglich gegen Frankreich, Italien und Polen verloren. Italien und Frankreich bestritten gestern Abend das Finale, Polen schaffte es in der Weltliga im letzten Jahr immerhin in die Finalrunde. Deutschland kann solche Erfolge in den letzten Jahren nicht vorweisen. „Wir dürfen nicht vergessen, woher wir kommen“, hat Moculescu deshalb während der EM mehrfach gemahnt.

Das Wissen darum sollte ausreichen, um die Trainerdiskussion als ziemlich unsinnig zu entlarven, so wie Ralph Bergmann das auch tut. „Das ganze Paket ist viel zu gut, als dass man es in Fragen stellen darf“, findet der Mann vom Mittelblock, und selbst von Moltke, der Präsident, rudert bei diesem Thema eilig wieder zurück und wird ungewohnt kleinlaut: „Ich würde ihn ja auch gerne halten, weil er gut ist.“ Und weil schon nächsten Januar die Qualifikation für Olympia in Athen ansteht, die nächste, nicht minder schwere und im Endeffekt wohl noch wichtigere Bewährungsprobe. Acht europäische Teams treten dann in Leipzig an – nur eines darf zu Olympia. „Die Chancen sind sehr gering“, sagt realistisch schon jetzt Wolfgang Kuck. Mit einem anderen Bundestrainer als Stelian Moculescu dürften sie schon jetzt aussichtslos sein.