Hassliebe mit Tradition

Das iranische Kino hat Erfolg im Westen – mit Filmen voller ländlicher Armut und Abgeschiedenheit. Aber wo bleiben bei uns die urbanen Filme aus der gelebten Wirklichkeit dieses zerrissenen Landes?

von BIRGIT GLOMBITZA

Ein verwunschenes Dorf. Kinder mit Greisengesichtern, schwerer bepackt als ein Muli. Verhüllte Frauen, die scheu über die Straße huschen. Und am untersten Ende der Nahrungskette afghanische Schwarzarbeiter oder Kriegsflüchtlinge in zerlumpten Kleidern.

In vielen iranischen Filmen, die es, von der Zensur zurechtgestutzt, über die Staatsgrenze in unsere Kinos schaffen, präsentiert sich der Iran als ewig grimmiger Gottesstaat. Als eine einzige verwahrloste Provinz, der das staatsreligiöse Bilderverbot die Farben und jeglichen Kontakt mit der modernen Zivilisation ausgetrieben hat. Wer in Deutschland ins Kino geht, könnte leicht annehmen, „dass es im gesamten Iran keine Stromversorgung und kein Telefon gibt“, meint der Regisseur und Produzent Mohammad Farokhmanesh. Mit der Realität hat dieses Kinobild aber nur bedingt zu tun.

Farokhmanesh wurde 1971 in Shiraz geboren. Bereits mit 16 lernte er am iranischen Jugendfilminstitut, wie man Dokumentarfilme dreht. Nach seinem Militärdienst im Iran ging er nach Hamburg und studierte an der HfbK bei Helke Sander und gründete 1999 (mit Frank Geiger und Armin Hofmann) eine eigene Produktionsfirma „brave new work“. „Es gibt eine Menge außergewöhnlich talentierte Regisseure und Regisseurinnen, aber auch Kameraleute im Iran“, so Farokhmanesh. „Doch es ist nicht einfach, sie hier zu präsentieren. Alle wollen nur Kiarostami oder Makhmalbaf, als stünden deren Arbeiten schon für das gesamte iranische Kino.“

Viel zu selten sieht man dagegen städtisches Leben, die starken westlichen Einflüsse auf Architektur, Geschäfte, Musik, Werbung und Waren. Oder Frauen mit eher dekorativer als verhüllender Kopfbedeckung und vollen Terminkalendern. Frauen, die sich im Rückspiegel die Lippen nachziehen wie unlängst in Kiarostamis „Ten“ oder wie in den hierzulande fast völlig unbekannten Filmen der Regisseurin Rakshan Bani-Etemad.

Stattdessen immer wieder vom Elend zusammengestauchte Gestalten, die auf dem Land um ihre kleine Existenz ringen. Farokhmanesh: „Entlegene Orte mit fast zeitlosen, bitterarmen Protagonisten. Vermutlich eine erzählerische Entscheidung, die auch der Zensur geschuldet ist. Inzwischen muss man aber auch sehen, dass das ein Sujet hervorgebracht hat, das sich einfach leichter vermarkten lässt. Filme also, die weniger für das iranische Kino als für das Ausland produziert wurden.“

Auch die Nachfrage nach Filmen mit Kinderdarstellern ist groß. Kinder galten immer schon als Träger eines subtilen, gar subversiven Symbolismus und stehen außer Verdacht ideologischer Vereinnahmung. Sie konnten Fragen ans System aufwerfen und einer Verzweiflung Ausdruck geben, die jeden Erwachsenen ins Gefängnis gebracht hätten. In Holland, Frankreich, Deutschland, vor allem aber in Japan finden iranische Kinderfilme inzwischen reißenden Absatz. „Von ,Lola rennt‘ und ,Good bye, Lenin!‘ vielleicht einmal abgesehen“, bilanziert Farokhmanesh, „verkauft sich der iranische Film international besser als der deutsche.“

Seit den Erfolgen von Abbas Kiarostami und Mohsen Makhmalbaf gehören iranische Filme zum festen Programm der Programmkinos, aber auch der internationalen Festivals. Und mit Samira Makhmalbaf (23), deren Film „5 Uhr nachmittags“ in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, und „Joy of Madness“, den ihre 14-jährige Schwester Hana gerade in Venedig vorstellte, hat sich bereits die nächste Generation international etabliert. Wenn auch mit Familienstrukturen, die an die Coppolas erinnern.

Das ausländische Interesse an iranischen Produktionen hat inzwischen, so Farokhmanesch, „eine kleine wertekonservative Nostalgiewelle unter einigen Regisseuren freigetreten. Und manche spekulieren sicher auch mit dem Stempel des Verbotenen auf einen Auslandserfolg.“ So weit will Undine Zamani, die 2000 zusammen mit der Regisseurin Petra K. Wagner eine große iranische Filmreihe im Berliner Haus der Kulturen organisierte, nicht gehen. Einen seltsam folkloristischen „Trend hin zu Filmen voller ländlicher Armut und Abgeschiedenheit“ hat aber auch sie festgestellt.

Tatsächlich aber liegen die modernen Stadtfilme eines jungen iranischen Kinos nicht im Giftschrank der Revolutionsführung. Sie laufen in den Kinos der Hauptstadt. Über „zahlreiche Filme über Drogen, Prostitution, männliche Unterdrückung und andere Tabuthemen“ staunte auch Undine Zamani bei ihrem letzten Kinobesuch in Teheran. Aber lange Zeit schaffte es nur ein Bruchteil von ihnen auf internationale Festivals wie etwa das „Mädchen mit den Turnschuhen“. Der Film erzählt von einer Tochter aus dem iranischen Mittelstand, die aus Liebe gegen ihre Familie rebelliert und schließlich abhaut. Der Film sorgte 1999 für so viel Aufsehen, dass die Regierung begann, Anlaufstellen für Ausreißerinnen einzurichten und sich wenigstens vordergründig mit inhumanen Taburegelungen auseinanderzusetzen.

Die gelebte Wirklichkeit hat sich längst ihre Schleichwege um die Doktrinen der Mullahs gebahnt. Der Markt mit Raubkopien boomt. Amerikanische Blockbuster sind Tage nach ihrer US-Premiere bereits als DVD auf dem Schwarzmarkt zu haben. Perfekt untertitelt. Und nicht selten findet man den Tschador nicht auf dem weiblichen Haar, sondern über verbotenen Satelittenschüssel, die die Haushalte mit RTL, MTV und US-amerikanischen Unterhaltungsprogrammen versorgen. Der staatliche Versuch, den medialen Invasoren mit Störsignalen den Garaus zumachen, hat kaum Erfolg und noch weniger Sympathisanten.

Immerhin sind zwei Drittel der Iraner nach 1979, dem Jahr der iranischen Revolution, geboren. Sie kennen nur das Leben in einer islamischen Republik und sind es satt, sich von Männern mit langen Bärten bevormunden zu lassen. Sie wollen Boutiquen mit Designerklamotten; und ihre HipHop-CD-Sammlung wollen sie nicht länger wie Drogenkoffer verstecken. Aus dem Schleier sind Tüchlein geworden, die das Haar vorne und hinten großzügig herauswallen lassen. Und die Oberschicht hat seit jeher ihre Mittel und Wege, um sich fern von Kleider- und Sittenordnungen beim Skifahren oder in der Partyszene zu amüsieren.

Die Macht im Lande ist derweil so zerrissen wie die offensichtlich zu bunten Sommerkleider in den Schaufenstern, die die Bassidsch, die Schlägertrupps der iranischen Revolutionsführung, vor ein paar Monaten in Teherans Einkaufsmeilen zerstörten. In einem ähnlich schizophrenen Zustand agieren auch die Filmbehörden des Landes. Neben der Farabi Cinema Foundation, der ausführenden Behörde der Filmabteilung des Kulturministeriums, ist für die etwa 300 iranischen Filmschaffenden vor allem die religiös-ideologische Sureh zuständig. „Sie steht auch hinter dem größten Komplex der iranischen Filmgeschichte, dem Iran-Irak-Kriegsfilm, in dem die enthusiastischen Soldaten den größten Heldentod erleiden dürfen“, erklärt Farokhmanesch. „Selbst ein Regisseur wie Mohsen Makhmalbaf kommt aus dieser Tradition. Auch ideologisch. Damit ist er im Iran bekannt geworden, bevor er sich dem kritischen und reflexiven Kino zuwandte.“

Bis vor vier Jahren mussten erst Drehbücher, später der fertige Film beim Kulturministerium eingereicht und überprüft werden. „Unter dem liberaleren Kulturminister Mohájerani, der von 1997 bis 1999 amtierte, wurde auch gedreht, ohne dass das Buch vorher kontrolliert wurde“, erinnert sich Farokhmanesh, „heute, unter Ahmad Masjed Jamei, ist das wesentlich schwieriger geworden.“ Einige Projekte werden gleich gestoppt, andere widmen sich den heikelsten Themen und landen kaum geschoren auf der Leinwand. Und nicht selten werden Filme fertig gestellt, dürfen aber nur im Ausland oder auch gar nicht gezeigt werden. Willkür scheint derzeit die einzig verlässliche Kategorie der Zensur zu sein. So unterliegt der mehrfach ausgezeichnete Film „Der Kreis“ (2000), in dem Jafar Panahis die Prostitution im Land der Verschleierung sichtbar macht, bis heute einem Aufführungsverbot. Und Tamineh Milani, eine von etwa einem Dutzend iranischer Regisseurinnen, wurde nach der Aufführung ihres Films „Zwei Frauen“, in dem sie die bigotten männlichen Unterdrückungsstrategien offen legt, inhaftiert.

Das Kino und der Iran, eine Hassliebe mit langer Tradition. Anfang der 50er-Jahre hatte der Schah noch eine Delegation amerikanischer Professoren aus Syracuse in den Iran eingeladen, um dort die Grundlagen von Filmtechnik, Drehbuch und Dramaturgie zu vermitteln. Eine konzeptionelle Grundsteinlegung mit nachhaltigen Effekten. Denn als in den Jahren nach 1979 Kinoketten geschlossen, niedergebrannt oder zu religiösen Stätten umfunktioniert wurden, schallte es an den Sets immer noch „Action!“ und „Cut!“. Kommandos aus dem Land des Todfeindes.

Ein fast schon marginales Paradox angesichts all „der unglaublichen Widersprüche in der iranischen Filmwirtschaft, die bis heute Filme verbietet, gleichzeitig aber aus ihren Erfolgen auf internationalen Festivals Gewinn schlägt“, bilanziert Farokhmanesch.

Filme aus dem Iran, so scheint es, sind nicht nur der geistlichen Zensur preisgegeben, sondern zunehmend auch den höchst weltlichen Gesetzen von Nachfrage und Angebot. Ob die Meisterschaft seiner prominentesten Regisseure im Epigonentum zur Pittoreske verramscht wird oder ob unbekanntere Filmemacher mit neuen Themen die europäischen Leinwände erreichen, wird in Zukunft noch stärker vom Mut ausländischer Koproduzenten und der Neugier der Festivalsgestalter abhängen.