neonazi-bombenfund : Die Logik der Übertreibung
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein gehört zu den glücklichen Zeitgenossen, die stets wissen, was zu tun ist. Egal, was gerade passiert – Beckstein fordert erst mal eine Verschärfung des Versammlungsrechts.
Kommentarvon STEFAN REINECKE
In München haben Neonazis Terroranschläge bei der Grundsteinlegung einer Synagoge und auf andere Einrichtungen geplant. Wie verbindlich diese Pläne waren, ist noch unklar. Doch die Gruppe ist offenkundig überaus ernst zu nehmen. Und Beckstein weiß natürlich, was nun erforderlich ist: eine Verschärfung des Versammlungsrechts.
Die Vorstellung, dass Neonazis am 9. November in Deutschland Juden töten, ist für alle, die halbwegs bei Verstand sind, ein Albtraum. Es ist für Deutsche vielleicht der schlimmste aller Albträume. Beckstein versucht die Angst mit starken Sprüchen zu kanaliseren. Offenbar entstehe eine „Braune Armee Fraktion“, der es nun mit scharfen Gesetzen beizukommen gelte.
Dies ist die Rhetorik der Aufregung, die nur Knalleffekte produziert und Verwirrung stiftet. Jedesmal, wenn militante Neonazis in Erscheinung treten, ist unverdrossen von der „Braunen Armee Fraktion“ die Rede. Jedesmal wird gewarnt und gemahnt, und zwei Wochen später ist die Sache wieder vergessen. Die Neonazis verfügen bislang über keine Struktur und Logistik, die mit der RAF vergleichbar wäre. Damit hat Otto Schily (der kurzzeitig seine bekannte Vergesslichkeit in RAF-Dingen überwunden hat) Recht. Auch München zeigt eher, dass an der BAF-These nichts dran ist: Die Polizei ist über die Szene so gut informiert, dass sie von den Plänen offenbar frühzeitig Wind bekam.
Kein Missverständnis: Hier soll keine Gefahr klein geredet werden. Doch wie Beckstein, die Gefahr in möglichst grellen Farben zu malen und sich nebenbeials vertrauenswürdiger Retter in der Not zu inszenieren, bringt nichts. Auch rot-grüne Politiker neigen dazu, wenn Neonazis im Spiel sind, mit symbolischen Machtdemonstrationen herumzufuchteln. Spätestens das NPD-Verbotsverfahren hat gezeigt, dass solcher Aktionismus oft ins Desaster führt. Doch Beckstein & Co sind lernresistent.
Das Gerede von der BAF gehört auf den Index – schon weil die ermattete Öffentlichkeit, wenn Neonazis wirklich eine RAF-ähnliche Logistik aufbauen sollten, auf diesem Ohr inzwischen taub geworden sein dürfte. Das ist der paradoxe Effekt des Alarmismus: Wenn eintritt, was zigmal in steiler Rhetorik beschworen wurde, ist man erst recht hilflos und unvorbereitet.