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Archiv-Artikel

Hannes & der Wolf

Nicht ins Wasser gefallen: Das Fest der Lieder

Burgen sind romantisch und unbequem. So war es auch an diesem Wochenende beim „Fest der Lieder“ auf der Wasserburg Blomendal: Ein schöneres Ambiente als den Innenhof des alten Steinbaus in Blumenthal ließ sich kaum wünschen, aber sobald die Sonne unterging, wurde es empfindlich kühl. So fröstelte das Publikum tapfer vor sich hin, als Hannes Wader und Wolf Biermann das Sängertreffen durch ihre Auftritte adelten.

Als die Veranstalter aus Bremen und Blumenthal im vergangenen Jahr dieses dreitägige Festival aus der Taufe hoben, um an die Tradition der Liederfeste auf Burg Waldeck anzuknüpfen, musste man skeptisch sein. Nach diesem Wochenende aber lässt sich berichten, dass es zum einen ein treues Publikum für Liedermacher gibt, und dass nun offenbar auch die erste Garde der Zunft das Festival beehrt: Es hat gute Chancen, zur Institution zu werden.

Sogar Rituale entwickeln sich schon: unabsichtliche, wenn die Techniker bei jedem Auftritt die Anlage falsch einstöpseln, aber auch intendierte, wenn Hein und Oss Kröhler das Fest wie im Vorjahr mit dem Lied „Die Gedanken sind frei“ eröffnen. Die beiden über 80-jährigen Sänger gehörten in den 60ern zu den Gründern der Festivals in der Burg Waldeck und singen heute kaum anders als damals. Auch jüngere Interpreten spielten im betont traditionellen Stil, und genau solche Töne wollte das Publikum auch hören: Ein Mann und eine Klampfe auf der Bühne. Erich Schmeckenbecher etwa, der einst im Duo Zupfgeigenhansel spielte und am Freitagabend mit einer Vertonung eines Gedichts von Theodor Gramers das vielleicht schönste Lied des Festes sang. Aber als dann direkt nach ihm Hannes Wader auf die Bühne kam, merkte man sofort den Unterschied zwischen den anderen Sangeskünstlern und einem Star des Metiers: Wader hat immer noch Charisma, weiß genau, wie er mit dem Publikum umgehen muss, sein Auftritt hatte eine sehr geschickte Dramaturgie, da stimmte einfach alles.

Der Coup des Festivals war jedoch der Auftritt Wolf Biermanns. Auf Bitte seines Freundes, des Bremer Senatspräsidenten Hennig Scherf gekommen, wischte der von Anfang an die Gemütlichkeit weg. Biermann erzählte und sang vom großen Bombenangriff auf Hamburg, den er als Kind erlebt hatte, unterbrach sich in seinen Liedern, um die politische Aussage einzelner Zeilen zu erklären, schimpfte auch einmal über seinen alten Freund Walraff, dem er nicht vorwarf, für die Stasi gearbeitet zu haben, sondern jetzt zu „lügen“. Anderthalb Stunden lang führte er so eine Mischung aus politischem Streitgespräch und Autobiografie in Liedern vor: ein sowohl intellektueller als auch musikalischer Hochgenuss.

Wilfried Hippen