: Geflunkerte Wahrheit
Bremen verkehrt – im „Alternativen Cityguide“ von Patricia Lambertus
Schon mal davon gehört, dass Bremen eine Freiheitsstatue hat? Oder, dass die berühmte Haustier-Skulptur vor dem Rathaus ein Werk des „politisch arbeitenden Bildhauers Packan“ ist, der sich einer alten Bremer Fabel bediente, um an das Recht auf Asyl zu gemahnen?
Nie gehört? Kein Wunder, geben doch die meisten Stadtführer die immer gleichen Fakten von sich: Die Statue auf dem Markt heißt Roland; Hund, Katze, Esel, Hahn sind die Bremer Stadtmusikanten. Ordentlich packen die Fremdenführer Realität in Häppchen ab, die der Tourist dann – guten Gewissens, sich informiert zu haben – mit der Kamera abknipst.
Doch das Bild, das Stadtführer von Bremen präsentieren, sei auch nur eine Version der Geschichte, sagt Patricia Lambertus. Deshalb zeigt sie Bremen in ihrem „Alternativen Cityguide“, wie es garantiert noch niemand interpretiert hat. Alte Traditionen verdreht die Künstlerin subtil. Das Spucken auf den Gesche-Gottfried-Stein erinnere an „die verrohten Sitten, auf die Stellen zu spucken, wohin die Köpfe der Hingerichteten fielen.“ Aber: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“, sagt die Bibel. So erfindet Lambertus eine alternative Sitte: „Seinen Fuß auf den Gedenkstein setzen und sich auf den eigenen Schuh spucken.“
„All diese Geschichten haben einen realen Kern“, sagt die 34-jährige Künstlerin, die in herkömmlichen Reiseführern, Geschichtsbüchern und Lexika recherchierte. Sie wählt jedoch andere Schwerpunkte, verknüpft die Fakten in ungewohnter Weise neu, flunkert auch mal. Der Roland, Symbol der Unabhängigkeit, wird zur Freiheitsstatue, nach deren Vorbild auch das New Yorker Wahrzeichen erbaut worden sein soll, eine Anspielung auf die Auswandererverbindung Bremen – New York als Achse der Unabhängigkeit. Lambertus treibt die Parallelen noch weiter und weist auf die Videokamera am Tourist-Info-Bau hin, die Bremen „vor Terrorangriffen“ schützen soll: „Verhalten Sie sich bitte nicht auffällig.“
Der Cityguide wirkt zunächst wie ein informatives Faltblatt. Erst allmählich bekommt der Leser ein mulmiges Gefühl: Schließlich fehlen die für einen Stadtführer üblichen Adressen, Termine und Insidertipps.
Im Rahmen des Projekts „Tourist City“ führte Lambertus kürzlich ein „Touristenbüro“ in der Böttcherstraße – als Attrappe. Auf Souvenirs, T-Shirts und Tassen prangten Motive wie eine Bratwurst oder ein WC-Center. Auch leitete die Künstlerin eine Stadtführung. Motto: „Real sehen, virtuell verstehen“. Also, sehen, wie etwas tatsächlich ist, und verstehen, wie es möglicherweise sein könnte. Touristen nahmen das Angebot etwas verunsichert zur Kenntnis.
Derzeit arbeitet Lambertus an einem alternativen Führer von Wilhelmshaven, das in diesem Jahr sein 200-jähriges Stadtjubiläum feiert. sys