Wie ein Mechaniker zum EDV-Profi wurde

Sie sind die Handlanger von Hartz IV: überschüssige Mitarbeiter vom Stellenpool der Stadtverwaltung, die zum Tippen der Daten in die Sozialämter abkommandiert werden. Zum Beispiel der unglückliche Herr Wienroth aus Lichtenberg

So ganz kann es Manfred Wienroth noch nicht glauben. Vor einem Monat werkelte er noch an den Dienstwagen der Senatoren herum. Nun sitzt er an einem leer geräumten Schreibtisch in einer mit Neonlicht durchfluteten Amtsstube und geht zum wiederholten Male das 16-seitige Antragsformular für das neue Arbeitslosengeld II durch – so wie berlinweit 274.000 Erwerbslose, die derzeit diese komplizierten Formulare ausfüllen müssen. Doch es gibt Unterschiede: Wienroth wird kein Alg II beziehen, Wienroth muss nicht beraten werden, welcher Job zumutbar ist. Wienroth wurde diese Frage gar nicht erst gestellt. Seit dem 2. August ist Wienroth Abkommandierter beim Sozialamt Neukölln. Er soll die Daten von rund 34.000 künftigen Alg II-Beziehern eintippen. Er ist Handlanger zur Umsetzung von Hartz IV.

Wienroth kommt vom „Stellenpool“ des Landes Berlin – offiziell „Zentrales Personalüberhangsmanagement des Landes Berlin“ genannt, mit Sitz in Alt-Friedrichsfelde. Hier werden überschüssige Dienstkräfte des Landes verwaltet. Dabei sind einige von ihnen sehr gefragt. Zwölf Bezirke brauchen zeitgleich 250 Leute mit EDV-Kenntnissen, erzählt der zuständige Neuköllner Sozialdezernent Michael Büge (CDU). Im Stellenpool sind aber auch Gärtner, Mechaniker und Parkplatzwächter. „Wo sollen die alle Verwaltungsarbeit gelernt haben?“

„Kein leichtes Unterfangen“, findet auch der 59-Jährige Wienroth, der seinen letzten Computerkurs 1995 besucht hatte. Zwar habe er seiner Frau ab und zu über die Schultern geguckt, wie sie am Rechner zu Hause was eingegeben hatte, erzählt er. Aber an den Computer lassen wollte sie ihn nicht. Er würde alles durcheinander bringen. Dafür kannte er sich halt mit Autos aus. Bis zum Werkstattleiter des Senats brachte er es. „Formulare habe ich da auch ausgefüllt“, erzählt er. „Aber die waren von einem ganz anderen Kaliber.“ Seit 22 Tagen gibt es diesen Posten nicht mehr.

Nun ist Wienroth einer von 11. Der Bezirk Neukölln hatte den Bedarf von 53 Kräften beantragt, die bei der Umsetzung von Hartz IV benötigt werden. Bewilligt bekam er 25. 17 erschienen, 2 waren sehbehindert und wurden gleich wieder nach Hause geschickt, 3 müssen erst noch geschult werden.

Auch Wienroth wartet noch auf seine EDV-Schulung. Momentan würde er seinen Mitarbeiterinnen über die Schultern gucken, sagt er. Bewundernswert findet er, „mit welcher Geduld die Frauen den Stress bewältigen“. Viel mehr gibt es für ihn momentan nicht zu tun. Denn zum Eintippen der Daten fehlt zudem noch die speziell entwickelte Software.

Mitte Juni sollte sie kommen, sagt Büge. Nun hoffen sie auf Anfang September. Im November müssen seine Mitarbeiter fertig mit dem Tippen sein. „In dieser Zeit wird es im Sozialamt nur noch Notdienste geben“, kündigt Büge an. Schaffen sie es nicht … die Folgen mag sich Büge gar nicht ausmalen. Tausende Antragsteller würden ab dem 1. Januar 2005 kein Geld bekommen.

Wienroths Geld ist gesichert. Bis zu seiner frühzeitigen Pensionierung bleiben ihm noch zweieinhalb Jahre, entlassen kann das Land ihn nicht. Aber was er nach der Umsetzung von Hartz IV irgendwann Anfang 2005 machen wird, weiß er nicht. Ob er mit den etwa 80 Leuten des Sozialamts in das noch nicht existierende „Job-Center“ in der Sonnenallee wechseln wird? 550 Mitarbeiter werden benötigt, um den gesetzlich vorgeschriebenen Schlüssel von einem Berater auf 75 Jugendliche beziehungsweise 150 Arbeitslose zu erfüllen. Von der Arbeitsagentur wechseln 140 Mitarbeiter rüber. Fehlen noch 230. Wienroth traut sich diese Arbeit aber nicht zu. Er sei schließlich Mechaniker.

Vor einem Jahr hatte Innenminister Ehrhart Körting (SPD) mitgeteilt, dass alle in den Stellenpool gesetzten Mitarbeiter „fachgerecht“ eingesetzt werden. „Von dieser Ankündigung ist nichts mehr übrig“, sagt Wienroth. Seitdem vor acht Monaten seine Frau verstarb, sei ihm das ohnehin „schnurzegal“. „Ironie der Geschichte“, sagt er mit Tränen in den Augen: „Im Grabe muss sie sich gedreht haben, dass ausgerechnet ich jetzt für Arbeitslose zuständig bin.“ Seine Frau war Angestellte bei der Arbeitsagentur Nord. FELIX LEE