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Archiv-Artikel

Gelebter Weltekel

Der Wochenendkrimi: Der Polizeiruf 110 „Vater unser“ ist eine kunstvolle Hassgeschichte (So., 20.15 Uhr, ARD)

Beeindruckend sieht er aus in seiner Nazi-Uniform. Die Mundwinkel des hageren Gesichts zeigen streng nach unten, dazu bellt er scharfkantige Konsonanten. Dass Kommissar Tauber nur einen Arm hat, verstärkt das Kriegsherrenhafte.

So funktioniert Sarkasmus: Was man am meisten hasst, kann man am besten nachahmen. Tauber, der böse einarmige Ermittler aus München, hasst aus ganzem Herzen. Und zwar seinen toten Vater, dessen Rolle im Dritten Reich immer nebulös und verdächtig geblieben ist. Lange vor dessen Ableben hatte Tauber schon mit ihm gebrochen. Doch auf einmal steht die unaufgearbeitete Familiengeschichte vor seiner Haustür.

Gleich drei Kisten voll, gefüllt mit NS-Devotionalen und Uniformen, vererbt von einem Freund des Vaters aus Montevideo. Zwischen Hakenkreuzbannern und Nazi-Kitsch befindet sich auch ein Aquarell, auf das es bald halb München abgesehen hat. Tauber werden horrende Summen geboten. Im Kampf um das Bild, in dem ein Hinweis auf einen Nazi-Schatz eingemalt worden sein soll, gibt es bald einen Toten.

Der Verdacht fällt ausgerechnet auf Kommissar Tauber. Der kunstvoll verschlungene Plot um verdrängte Familienkonflikte und braune Ikonografie (Buch: Christian Jeltsch, Regie: Bernd Schadewald) gibt Tauber reichlich Gelegenheit seinen Weltekel auszuleben. So lässt er sich unter Mordverdacht ausgerechnet im oben beschriebenen Wehrmachts-Outfit von seiner Kollegin Jo Obermaier abführen. Doch die hat eigene Sorgen: Neonazis verüben einen Brandanschlag auf die Werkstatt ihres türkischen Mannes.

Bis in den letzten privaten Winkel ist dieser „Polizeiruf 110“ also politisch aufgeladen. Dass die Geschichte unter ihrem Anliegen nicht zusammenbricht, liegt an Edgar Selge und Michaela May, dem stimmigsten Wochenend-Ermittlerduo neben Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf im Frankfurter „Tatort“. Mit düsterem Witz verwandeln sie den Fall in das persönliche Drama ihrer Figuren. Und ohne aufdringliches Sentiment demonstriert der große Edgar Selge: Hinter der martialischen Sarkasmusmaschine verbirgt sich – wie so oft – ein verstörtes Häufchen Mensch. CHRISTIAN BUSS