: „Ich will mich nicht länger schämen“
Bei den Berliner Frauenprojekten wird drastisch gespart. Eines der Frauenhäuser ist so von Kürzungen bedroht, dass sein Fortbestehen ungewiss ist. Auf die Frauen, die dort Zuflucht gefunden haben, wirkt das, als drohe ihnen doppelte Obdachlosigkeit. Das macht sie wütend. Deshalb sprechen sie
VON WALTRAUD SCHWAB
Blank liegt der Hof vor dem Frauenhaus da. In den Regenpfützen spiegeln sich die drei ziegelgedeckten Gebäude, die ihn flankieren. In Hufeisenform gebaut – von Glück allerdings kaum eine Spur. Weniger wie ein Ort der Begegnung wirkt alles, viel eher wie ein Appellplatz für Zöglinge mit 30er-Jahre-Appeal. Die Häuser sind die dazu passende Lehranstalt. Eine, die an alte Filme erinnert, an „Mädchen in Uniform“ vielleicht. An Therese Giese, die die Internatsvorsteherin spielt, alle triezt, dabei ihre wahren Gefühle hinter einer Fassade aus Trotz und Sadismus versteckt. Eine Schule eben, an die man sich nur gerne erinnert, wenn man sie längst verlassen hat.
Kindergeschrei dringt über den Hof bis zum Haupteingang, obwohl nur drei kleine Jungen zu sehen sind. Sie umlagern ihre Mütter, als müssten sie sie schützen. Kinder-Bodyguards, denen unbestimmte Erinnerungen das Handeln diktieren. Sie wissen: Gewalt war im Spiel. Ohrfeigen, Tritte, Schlägereien mit Besen, Gürteln, was gerade zur Hand war. Dazu zerbrochene Stühle, Vasen, halb ausgetrunkene Flaschen. Am Ende hat Mama heulend den Dreck aufgewischt und so getan, als wäre alles in Ordnung. Die Kinder wollen die Kontrolle über das, was als Nächstes kommt. Deshalb weichen sie ihren Müttern nicht von der Seite.
Auf der Bank neben der Eingangstür sitzen zwei Frauen, die diesen Sommer hier Zuflucht gefunden haben. Sie sind in eine Wartehaltung gefallen. Stoisch, fast versteinert hocken sie da und starren in das diesige Sonnenlicht. Die eine scheint Türkin zu sein. Kopftuchtürkin. Wie sich herausstellt, ist das falsch. Sie ist Deutsche. Kopftuchdeutsche, türkischer Herkunft. Ihr neunjähriger Sohn, dessen Gesicht einen flächigen, fast mongolischen Einschlag hat, steht vor ihr. „Komm, komm“, sagt er zu ihr. Aber sie kommt nicht. „Komm“ ist die falsche Aufforderung für eine, die eigentlich gar nicht da ist, weil ihre Gedanken anderswo sind.
„Ja, das ist schwer für die Frauen, vor allem am Anfang, wenn sie aus ihrem gewohnten Alltag herausgegangen sind und nicht wissen, dass sie sich einen neuen schaffen können“, sagt Carola Reckmeyer. Sie ist Sozialpädagogin, arbeitet seit drei Jahren in der Einrichtung, die von Gewalt betroffenen Frauen Schutz bietet, und hat schon oft erlebt, dass Frauen den ersten Aufbruch aus einer gewalttätigen Beziehung nicht schaffen. „Die ins Frauenhaus kommen, die werden mit allem, was sie je gedacht, gefühlt und sich gewünscht haben, zurück auf Start gesetzt.“
Das „Mensch, ärgere dich nicht“, um das es hier geht, ist kein Spiel. „Einige Frauen, bei denen die Gewaltgeschichte sehr lange geht, kommen fünf- bis sechsmal, bevor sie die Trennung schaffen“, meint Reckmeyer. Fünf- bis sechsmal zum Anfang zurück.
Frauenhäuser gibt es in Berlin seit einem Vierteljahrhundert. Gewalt in Beziehungen galt lange – und gilt vielfach bis heute – als Kavaliersdelikt. Bestenfalls in Gassenhauern der Zwanzigerjahre wurde das Tabu mal durchbrochen. Dass es nun immerhin Zufluchtsorte für misshandelte Frauen gibt, ist eine Errungenschaft der Frauenbewegung.
Insgesamt sechs Häuser mit 301 Plätzen gibt es in der Stadt. Sie reichen nicht. Trotzdem sollen nun dem Haus, in dem Reckmeyer arbeitet, die staatlichen Zuschüsse so beschnitten werden, dass nach den jetzigen Berechnungen keine adäquate Versorgung mehr für die insgesamt 60 Frauen und Kinder, die dort unterkommen können, gewährleistet ist. Hartnäckig hält sich zudem das Gerücht, dass die Gebäude verkauft werden sollen. Die endgültigen Senatsverhandlungen über die Kürzungen finden ab morgen statt.
Die Frauen, die im Haus Zuflucht gefunden haben, wissen um die prekäre Situation. Für sie wirkt es wie doppelte Obdachlosigkeit, die ihnen nun droht. Das macht sie wütend. Deshalb wollen sie über sich und ihre Erfahrungen sprechen.
„Weil ich mich nicht länger schämen will für das, was mir passiert ist“, sagt die 39-jährige Jacqueline Z.*. „Ich hab doch nicht zugeschlagen. Er war’s.“ Die Hamburgerin, die mit ihren Kindern nach Berlin flüchten musste, ist aus dem Gröbsten raus und kritisiert, was noch immer zu gelten scheint: dass Gewalt in Familien Privatsache – meistens Privatsache der Frauen – sei.
Wer im Frauenhaus landet und den Bruch mit dem gewalttätigen Mann wirklich schaffen will, braucht Zeit. Zwei Drittel aller Betroffenen bleiben bis zu drei Monate. 10 Prozent der geschlagenen Frauen sogar länger.
Alle, die um den gemeinsamen Frühstückstisch sitzen und hier ihre Erlebnisse öffentlich machen wollen, gehören zu ihnen. Keine weiß, ob sie ihre Angelegenheiten tatsächlich regeln kann, bevor es das Haus möglicherweise gar nicht mehr gibt, und ob sie psychisch so stabil geworden ist, dass sie ihr Leben auch allein leben kann.
Die Gemeinschaft der Betroffenen ist für viele Frauen der erste Anker, der sie hält. „Es stimmt“, sagt die 28-jährige Ferdane, „geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Sie sagt es auf Türkisch und sitzt dabei eng neben der drei Jahre jüngeren Ayșe. Beide teilen sich in der Tat eine Geschichte: Sie kommen aus der Türkei und haben Berliner türkischer Herkunft geheiratet. Aber ihre Lebensträume sind geplatzt, bevor sie gelebt waren.
Der Mann von Ayșe brachte seine Frau, die nur die 5-jährige, türkische Schule absolviert hat, wenige Monate nach der Hochzeit nach Anatolien zurück. Ob der Schande wurde sie dort von ihrem Vater misshandelt und zur Wiederverheiratung mit einem alten Mann freigegeben. Auf abenteuerliche Weise und mit Hilfe des deutschen Konsulats konnte sie nach Berlin zurückkommen, um hier von ihrem Mann Lebensunterhalt zu erstreiten. Einziger Zufluchtsort für sie: das Frauenhaus. Ähnlich erging es Ferdane, nur dass sie in der Türkei Betriebswirtschaft und Tourismus studierte und sich ihren Mann, der sich als Schläger entpuppte, selbst ausgesucht hat.
„Es fängt langsam an“, erläutert Jacqueline Z. „Da mal ’ne Ohrfeige, dann ’ne Entschuldigung, dann kippt er dir das Essen vor die Füße: ‚Was hast du für eine Scheiße gekocht!?‘, dann wieder auf Händen getragen, dann prügelt er auf dich ein und schläft anschließend mit dir. Große Liebe. Zuerst verstehst du es nicht; dann gehört es dazu; dann fängst du an, seine Unberechenbarkeit zu deiner eigenen zu machen, bis du daran kaputtgehst.“ Sie weiß, wovon sie spricht.
„Warum nehmen die türkischen Berliner keine Frauen von hier?“, hakt Ferdane noch einmal nach. „Sind ihnen zu aufmüpfig“, antwortet Songül, eine dritte Türkin, die in Kreuzberg aufgewachsen ist. Um vom schlagenden Vater wegzukommen, landete sie beim gewalttätigen Mann.
Die Bewohnerinnen des Frauenhauses, das seit 25 Jahren interkulturelle Arbeit macht, kennen alle Facetten der strukturellen, körperlichen und psychischen Gewalt. Nicht nur: Mann schlägt Frau. Am Frühstückstisch, an dem die Tagespläne besprochen werden, denn die Frauen sind fürs Putzen, Kochen, den Nachtdienst im Haus selbst verantwortlich, sitzt die 35-jährige Isabell R. Sie ist in Lateinamerika verheiratet und kam wegen komplizierter Erbangelegenheiten nach Berlin zurück, wo sie von ihren Brüdern, Alkoholikern, angegriffen wurde.
Es sitzt da Zeinab, eine Libanesin, die aus einem gewalttätigen islamisch-fanatischen Elternhaus floh. Weil sie damit rechnen muss, von ihrem Vater oder ihren Brüdern umgebracht zu werden, wurde veranlasst, dass ihre Identität geändert wird.
Am Tisch sitzt auch die 70-jährige Irene K., die von ihrem Sohn, ebenfalls Alkoholiker, verdroschen wurde. Bei einer jener Schlägereien holte die von Nachbarn alarmierte Polizei sie aus der Wohnung. „Früher dachte ich immer, das Frauenhaus sei eigentlich ein Bordell“, sagt die weißhaarige Dame, die schon zu DDR-Zeiten ein Hotel besaß.
Familiäre Gewalt ist auf keine soziale Schicht beschränkt. Auffallend allerdings ist, dass mehr als die Hälfte der Frauen, die in das Frauenhaus kommen, dessen weiteres Bestehen nun infrage steht, einen Migrantenhintergrund haben. Das elfköpfige internationale Team der Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen bietet Beratung in elf Sprachen an. Ein Grund für die hohe Ausländerinnenquote mag aber vor allem darin liegen, dass es das einzige Haus ist, in dem auch Jungen über 14 Jahre aufgenommen werden.
Eine schwierige Aufgabe verbirgt sich dahinter, denn sehr oft identifizieren sich die männlichen Jugendlichen mit ihren Vätern und werden selbst aggressiv, um so den Opferstatus verlassen zu können. „Wenn mein Mann zu meinem Sohn sagt, der Schnee ist schwarz, dann glaubt er das“, berichtet Maria D., die vor 25 Jahren aus Rumänien nach Deutschland kam. Unter Tränen erzählt sie, dass sie keinen Zugang mehr zu ihren 12- und 14-jährigen Jungen hat. „Das ist das Schlimmste, wenn eine Mutter ihre Kinder verlassen muss“, schluchzt sie.
Ayten C., die mit ihrer eineinhalbjährigen Tochter im Frauenhaus ist, tröstet die Weinende. Die Stuttgarterin, die mit schwäbischem Akzent spricht, wurde gegen ihren Willen vom türkischen Vater zur Heirat mit einem türkischstämmigen Schwaben gezwungen. Als sie sich weigerte, vergewaltigte der Zukünftige sie und schwängerte sie dabei. Aus Sicht der Familien gab es nun kein Zurück. „Ich hab Rotz und Wasser geheult bei der Hochzeit“, erzählt sie. „Die dachten, aus Freude.“ Vor Monaten ist sie abgehauen. Mittlerweile ist ihr Mann vor allem darauf erpicht, das Kind zu entführen. Deshalb wurde die Stuttgarterin außerhalb Baden-Württembergs untergebracht.
Es bedurfte einer umfassenden Lobbyarbeit, um zu erreichen, dass Vergewaltigung in der Ehe seit 1998 strafbar ist und dass von Gewalt betroffenen Frauen seit 2002 das Recht zusteht, in der Wohnung zu bleiben, während die gewalttätigen Männer gehen müssen. Gesetzliche Regelungen sind das, die in der Praxis allerdings nur wenigen Frauen Erleichterung bringen. Denn die Bereitschaft zur Gewalt, die in einer Gewaltbeziehung zum Tragen kommt, hört, wie die Berichte der Frauen zeigen, nicht auf, wenn die Verbindung gelöst ist.
Die Liste der Grausamkeiten in Familien ist lang. Sie stehen für gesellschaftliches Versagen. Die Frauenhäuser legen dieses Debakel offen. Um endlich ohne Angst leben zu können, nehmen die Frauen, die hierher flüchten, den nahezu 100-prozentigen sozialen Abstieg in Kauf. Sie lassen alles zurück – Arbeit, Freunde, Alltag, Wohnung, die kleinen Dinge des Lebens – und tauschen sie ein gegen ein Zimmerchen mit Doppelstockbetten, billigen Regalen und sonst nichts. „Erst hier hab ich begriffen, wie weit ich runtergekommen war“, sagt Jacqueline Z. „Erst hier habe ich kapiert: Mein Weg zurück führt zu mir.“
*Die Namen aller Bewohnerinnen des Frauenhauses wurden von der Redaktion geändert
Die Hotline des Berliner Interventionsprojekts gegen häusliche Gewalt (BIG) ist täglich von 9 bis 24 Uhr telefonisch unter 6 11 03 00 zu erreichen, im Netz unter www.big-hotline.de