Tschetschenen hoffen auf Straßburg

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt über die Auslieferung von vermeintlichen Terroristen, die in Georgien Asyl gefunden haben, nach Russland. Es ist die erste von rund 200 anhängigen Beschwerden von Tschetschenen

aus Straßburg CHRISTIAN RATH

Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag zum ersten Mal über einen Fall aus Tschetschenien verhandelt. Konkret wehren sich 13 tschetschenische Männer, die ins benachbarte Georgien geflüchtet waren, gegen ihre Auslieferung an Russland. Dort drohen ihnen Prozesse wegen Terrorismus.

In ihrer gemeinsamen Beschwerde vor dem Straßburger Gerichtshof geht es nun um die Frage, ob die Auslieferung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Anwältin Muchaschawria hält die Auslieferung für unzulässig. Ihre Mandanten könnten in Russland keinen fairen Prozess erwarten, ihnen drohe vielmehr Folter oder sogar die Todesstrafe, die in Russland nur ausgesetzt, aber nicht abgeschafft sei. Muchaschawria stützte sich auch auf einen Bericht des Antifolterkomitees des Europarats. Dort war den russischen Sicherheitsbehörden im Juli dieses Jahres ihre kontinuierliche Folterpraxis in Tschetschenien vorgehalten worden.

Die 13 teilweise verletzten und bewaffneten Männer waren im August letzten Jahres in zwei Gruppen über die Grenze gekommen und hatten in Georgien umgehend Asyl beantragt. Georgien gewährt Tschetschenen relativ großzügig Schutz, derzeit leben dort rund 4.000 anerkannte Flüchtlinge.

Brenzlig wird es für diese aber, wenn Russland die Auslieferung beantragt, so wie im Fall der 13 Kläger. „Bisher hat Georgien fast alle Auslieferungswünsche des großen Nachbarn erfüllt“, berichtet Lia Muchaschawria, die die Männer in Straßburg vertritt.

Im Fall der 13 Flüchtlinge wollte Russland wohl ein Exempel statuieren, weil Präsident Putin im letzten Sommer ohnehin die gesetzlosen Zustände im georgischen Pankisital kritisierte, wo tschetschenische Rebellen und Kriminelle relativ ungestört agieren können.

Schon im Oktober wurden fünf Männer, die so unvorsichtig waren, ihre Personalpapiere mit sich zu führen, an russische Behörden überstellt. Ein Tschetschene, der sich heftig wehrte, wurde dabei schwer verletzt. „Das ganze geschah an Wladimir Putins Geburtstag“, empört sich Anwältin Muchaschawria, „was für ein widerliches Geschenk“. Die anderen Männer sitzen fast alle noch in georgischen Gefängnissen.

Die georgische Regierung wies gestern den Vorwurf zurück, sie habe mit der Auslieferung Leben und Gesundheit der Flüchtlinge gefährdet: „Wir haben schriftliche Garantien der russischen Regierung, dass die Personen weder der Todesstrafe noch der Folter unterworfen werden“. Auch der russische Vertreter Pawel Laptew versicherte nochmals, die fünf Ausgelieferten hätten nichts zu befürchten. Sie warten derzeit in einem Gefängnis außerhalb Tschetscheniens auf ihren Prozess.

Der Gerichtshof, der gestern unter Vorsitz des Franzosen Jean-Paul Costa tagte, muss in den nächsten Wochen entscheiden, ob die Klage zugelassen wird. Gestern ging es vor allem um die Identifizierung der Kläger, die aus Sicherheitsgründen zunächst unter falschem Namen auftraten.

Insgesamt sind in Straßburg mehr als 200 Beschwerden von Tschetschenen anhängig. Sechs dieser Klagen wurden – ohne mündliche Verhandlung – bereits zugelassen. Dort geht es um Menschenrechtsverletzungen, die nicht nur befürchtet werden, sondern bereits stattgefunden haben. Vier Beschwerden richten sich gegen die Bombardierung flüchtender Zivilisten und ziviler Dörfer durch die russische Armee. Außerdem wird die extralegale Hinrichtung und Folterung von Angehörigen beklagt. Typische Fälle aus dem Tschetschenienkrieg.

Der Gerichtshof für Menschenrechte ist das Gericht des Europarates, dem inzwischen alle europäischen Staaten außer Monaco und Weißrussland angehören. Russland ist seit 1996 Mitglied. Die intensive Beobachtung der Lage in Tschetschenien ist den Russen aber zunehmend lästig, und dies lässt man den Staatenbund auch spüren. Ab 2005 will Moskau die Beitragszahlungen von jetzt 20 Millionen Euro auf weniger als die Hälfte kürzen.

Beim Beitritt 1996 hatte der damalige Präsident Boris Jelzin Russland als freiwilligen Großzahler angemeldet. Jetzt geht man auf das Minimum zurück. Offiziell heißt es, Russland könne sich die Großzügigkeit einfach nicht mehr leisten. Aber wann immer sich der Europarat kritisch zu Tschetschenien äußert, wird der Zusammenhang zu den sinkenden Zahlungen dann doch recht unverfroren hergestellt.