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Archiv-Artikel

Popkulturgeschichte

Hamburg wird – durchaus unorthodox – an einige seiner vergessenen Söhne erinnert: Die Gebrüder Wolf im Kino und auf der Bühne, in öffentlichem Raum und CD-Regal

von ALEXANDER DIEHL

Jetzt erreicht das Erinnerungsprojekt für die jüdischen Hamburger Sangeskomödianten Gebrüder Wolf einen Höhepunkt: Parallel zur Premiere von Jens Huckeriedes unorthodoxer Doku Return of the Tüdelband erscheint eine gleichnamige CD mit Wolf-Neubearbeitungen. Neben Urenkel Dan Wolf, der eigene Stücke aufführen sowie und mit seiner HipHop-Band Felonious aufteten wird, reisen – teils erstmals überhaupt – weitere Familienmitglieder aus den USA an. taz hamburg traf Jens Huckeriede und Dan Wolf sowie Ina Einsiedel und Susanne Tiedemann, die die Tribute-CD konzipiert und zusammengestellt haben, am runden Tisch.

taz hamburg: Wie nahm die Beschäftigung mit den Gebrüdern Wolf ihren Ausgang?

Jens Huckeriede: Ich war Filmemacher und saß zugleich im Vorstand des SterniPark e. V., der 1994 ein Haus in der Wohlersallee kaufte. Später stellte sich heraus: Das war das jüdische Volksheim. Die Stadt wollte keinen Zuschuss für einen Erinnerungsraum geben, und ich habe, eigentlich aus Protest, gesagt: Dann erinnere ich eben auf meine Art. Wie arbeitet man aber zeitgemäß zu dem Thema im öffentlichen Raum? Um es im Altonaer jüdischen Viertel mit Acrylfarbe auf die Straßen zu schreiben, habe ich ein Lied gesucht, das Juden und Nichtjuden nicht auseinanderbringt, sondern zusammenführt. In der Recherche fand ich heraus, dass „An de Eck‘ steiht‘n Jung mit‘n Tüdelband“ von Ludwig Wolf ist. Da wusste ich: Die Kulturgeschichte Hamburgs muss zumindestens teilweise neu aufgearbeitet werden.

Und die Beteiligung heutiger Hamburger Musiker sollte einen Bogen in die Gegenwart schlagen?

Huckeriede: Das war eigentlich die Idee für den Film: junge Musiker zu finden, die mit Volksmusik überhaupt nichts zu tun haben.

Und wann ist die „CD zum Film“ ins Spiel gekommen?

Ina Einsiedel: Als Jens richtig ans Drehen ging, haben wir vom Kunstwerk gesagt, wir machen parallel dazu eine CD: Wer im Film ist, sollte seine Sachen nochmal aufnehmen, und es mussten weitere Beiträge gefunden werden. Da kamen die verschiedensten Varianten rein. Wir hatten keinerlei Vorgaben gemacht, außer: Befasst euch irgendwie damit, verarbeitet das, nehmt das als Ausgangspunkt. Aber es sollten keine Coverversionen sein.

Dan, sprechen wir über „Tüdelbomb“, deine „Tüdelband“-Version.

Dan Wolf: Zunächst hatte Jens gefragt, ob ich für den Film eine englische Version schreiben könnte. Also machte ich eine grobe Übersetzung – auch davon, was meine besondere Perspektive ist. Der erste Teil war mein Versuch, Platt zu sprechen, dieses seltsame Oldschool-Deutsch. Dann ging es darum, einen Teil im Lied zu schaffen, durch den auch die Leute in Amerika mitbekommen, wovon ich rede. Darum, dieses alte Lied zu nehmen und eine Brücke zu schlagen. Es geht um die Perspektive des Überlebenden auf diesen Song, der tief verwurzelt ist in der Hamburger Kultur.

Einsiedel: Es ist schon ein Ziel, mal eine andere Generation anzusprechen. So dass es ein Thema für jüngere Leute ist, vielleicht auch ein Stück Hamburger Popkultur. Um die dritte Generation zu erreichen, die hiesige.

Susanne Tiedemann: Da wiederum fallen die Generationen übereinander her: Die einen vermissen das Moralinsaure, das Ernsthafte. Die anderen sind teilweise etwas geschädigt durch zu viele Pädagogen, die ihr ganzes Leben verlangt haben, bei diesem Thema ein schlechtes Gewissen zu haben.

Huckeriede: Ich arbeite zu diesem Thema ja schon sehr lange, und mir war klar: Dazu einen Film für junge Leute zu machen, heißt, dass du dich auf einem Drahtseil bewegst. Der NDR hat nach langen Verhandlungen gesagt, einen Film mit Dan Wolf wollen sie nicht sehen. Das hat mit Nostalgie zu tun, damit, dass man dann trauern kann, dass man beweinen kann, wie schön das alte Hamburg mal war. Und das Thema letztlich deckelt.

Szenische Lesung „Transmission 2“: So, 15 Uhr, Wohlers Allee 58; Stadtteilrundgang auf den Spuren der Gebrüder Wolf: Di, 23.9., 17 Uhr, Wohlers Allee 58; Dan Wolf: Stateless: Di, 19 Uhr, St. Pauli Theater; Dan Wolf/Felonious/Trainingslager: Di, 23 Uhr, Echochamber; Premiere Return of the Tüdelband: 24.9., 19.30 Uhr, Abaton; Dan Wolf/Felonious: 25.9., 22 Uhr, Waagenbau; Dan Wolf/Felonious: Beatbox – A Raparetta: 26. + 27.9., 23 Uhr, St. Pauli Theater; Release-Konzert Return of the Tüdelband (mit Viktor Marek & Jacques Palminger, Fink, Helikon, Felonious u. v. a.): 28.9., 20 Uhr, Fabrik