: Heilung für niedersächsische Krankheit
Kleinstkunst verliert gegen Hochkultur: Zwischen Harz und Nordsee droht wohl ein kultureller Flächenbrand. 1.200 Literaturbüros, Theater, Musikschulen oder Museen fürchten Kahlschlag, weil nur noch Leuchttürme gefördert werden sollen
Aus HannoverKai Schöneberg
Vor einem „totalen Kahlschlag“ warnen die etwa 1.200 Literaturbüros, freien Theater, Kunst- und Musikschulen, Museen und soziokulturellen Zentren im Lande. Davon, endlich die „niedersächsische Krankheit“ heilen zu wollen, soll kürzlich Kultur-Staatssekretär Josef Lange gesprochen haben. Fakt ist, dass von den bislang neun Millionen Euro, die derzeit in Niedersachsen für die freie Kultur zur Verfügung stehen, acht Millionen im kommenden Jahr gekürzt werden sollen. Vor allem den Besonderheiten, die sich mit den Jahrzehnten im zweitgrößten Flächenland gebildet haben, dürfte es an den Kragen gehen, an den „Leuchttürmen“, den Staatstheatern und Landesmuseen, will Kulturminister Lutz Stratmann (CDU) nicht rühren. Kleinstprojekt verliert gegen Hochkultur: Zwischen Harz und Nordsee droht wohl ein kultureller Flächenbrand.
„Wir fürchten das Schlimmste“, sagt Anne Denecke vom Literaturrat Niedersachsen, der in diesem Jahr noch 112.000 Euro für die Förderung von Jung-Autoren oder Netzwerkarbeit im Bücher-Entwicklungsland bekommen hat. Noch ist ihr Verband neben dem in Sachsen der einzige seiner Art in Deutschland. Bei der bevorstehenden Sparklausur des Kabinetts am 20. September befürchtet sie das Aus für die 1987 gegründete Institution. Und nicht nur sie.
„Die Summe ist klein, aber ihre Wirkung gigantisch“, sagte gestern Susanne Meyer vom Landes-Museumsverband. Den 650 Museen im Land drohen im kommenden Jahr Kürzungen in Höhe von 550.000 Euro. „Ein lächerlicher Betrag“, gibt auch Verbandschef Hans-Walter Keweloh zu. Allerdings bewegten die Klein- und Kleinstbeträge zusätzliche Zuschuss-Millionen von Kommunen, Stiftungen oder Mäzenen, die sich bislang erst bewegten, wenn ein positiver Förderbescheid vom Land vorlag. Orchideeninstitutionen könnte gar die Schließung drohen, wenn die Pläne aus Hannover, die bislang noch niemand offiziell bestätigt hat, Wirklichkeit werden, betont Keweloh. Allerdings: Zur Tradition Niedersachens gehören nun mal das Sielhafenmuseum in Carolinensiel oder das Ostfriesische Teemuseum in Norden Noch. Meyer, die auch das Tuchmacher-Museum in Bramsche leitet, erklärt das bisherige Förderprinzip so: „Als wir 1997 unser Haus eröffneten, verschwand die Anschubfinanzierung aus Hannover in Höhe von 180.000 Euro in den 8 Millionen Euro Gesamtkosten. Aber ohne dieses Geld des Landes hätten wir es nicht gepackt.“
Klaus Bredl vom Landesverband niedersächsischer Musikschulen spricht gar von einer „Kannibalisierungstaktik“ der Landesregierung, da sich die Masse der Kulturvereinigungen nun um den verbleibenden Eine-Millionen-Euro-Kuchen balgen müsste. Bislang bekommen die 80 Musikschulen jährlich etwa 1,3 Millionen Euro aus der Konzessionsabgabe für die Lottomittel, allein das Staatstheater in Hannover erhält jedoch fast 50 Millionen Landeszuschüsse. Bekannteste Schülerin ist Sarah Connor, die immer noch an der Musikschule in Delmenhorst Gesangsunterricht nimmt. Fast noch wichtiger sind Bredl aber die 80.000 anderen Schüler: „Da fragt man sich doch, bitteschön, wer soll denn in Zukunft noch in die Staatsoper kommen, wenn an der Basis so stark gekürzt wird?“ Einsparungen „in dieser Schärfe aus anderen Bundesländern“ seien ihm „nicht bekannt“.
Die Pläne Stratmanns haben auch schon bundesweit Wellen geschlagen. Die deutschlandweit aktive Kulturpolitische Gesellschaft hat bereits in einem Brief nach Hannover „vor den katastrophalen politischen Folgen dieser Entscheidung für das kulturpolitische Klima in Deutschland“ gewarnt.
Noch sei gar nicht klar, wo eingespart werden müsse, sagt Stratmanns Sprecher Thomas Reiter. Allerdings arbeite das Ministerium derzeit daran, dass „in Zukunft nur noch die Projekte gefördert werden, die für alle Niedersachsen wichtig sind“.