: Die Zukunft ist ein Tauchgang
Die Ausstellung „Was tun?“ in der Guardini-Galerie zeigt neue Arbeiten des Leipziger Medienkünstlers Maix Mayer
VON BRIGITTE WERNEBURG
Wenn Maix Mayer in den Beton- und Kunststoffblasen, die auf der Erde herumstehen, immer wieder den Lebensraum der Menschen untersucht, dann meint man, so weit habe sich der Künstler gar nicht von seiner Ausbildung als Meeresbiologe entfernt, den die Lebensräume der Fische, Krebse und anderer Meeresbewohner interessieren. Denn die kugelige Form der menschlichen Behausung, die stets mit einer futuristischen Architekturvision verbunden scheint, schaut immer ein wenig nach Taucherglocke aus. Gerade so, als ob die Zukunft ein Tauchgang wäre, einen verlorenen Schatz aus tiefster Tiefe zu bergen.
Aber womöglich führen diese Gedanken in die Irre. Denn sobald man in der aktuellen Ausstellung der Guardini-Galerie Maix Mayers letzten Film gesehen hat, der in seinem Titel „habitat“ einen in der Biologie wie in der Soziologie verwendeten Begriff zitiert, möchte man behaupten, die schönste Blase, in der der Mensch wohnen kann, sei der Schutzhelm. Und der bringt einen auf die Idee, dass die Blase dem Wunsch nach der eigenen Raumkapsel geschuldet ist. Dem Wunsch, hochgradig selbstversorgend und von den anderen separiert, doch mit dem Privileg eines idealerweise 360 Grad umfassenden, panoptischen Blicks zu leben.
Vielleicht wollen wir genauso wohnen, wie wir uns fortbewegen: warm, wettergeschützt, eigenmotorisiert und musikumspült in der Stahl-Glas-Gebärmutter mit Namen Auto. Und falls es das nicht sein kann, dann möchten wir wenigstens unseren Kopf einkapseln. So wie es der unüberschaubare Pulk von Motorrollerfahrern zeigt, der vor einer roten Ampel in Taipeh zum Stillstand gekommen ist. Das Bild erinnert an einen Trupp mittelalterlicher Ritter auf einem alten Gemälde, auch wenn die modernen Rollerritter rauchen, telefonieren, Musik hören, Zeitung lesen oder sich, an ihre Partner geklammert, unterhalten während sie warten. Hier, in „habitat“, nimmt man die nicht nur ganz individuell gestylten, sondern auch möglichst individuell geformten Sturzhelme plötzlich weniger als Unfallschutz denn als Behausung wahr.
Aber der 1960 in Leipzig geborene Filmemacher, Fotograf und Konzeptkünstler Maix Mayer stellt in seinem Film eigentlich einer ganz anderen Blasenstruktur nach. Im Internet fand er das Bild einer auf Taiwan Anfang der 80er-Jahre errichteten retrofuturistischen Ferienanlage. Die an einer Reihe von Treppentürmen angehängten, je sechs buntfarbenen Bungalow-Ellipsen aus Fiberglas erinnerten ihn unmittelbar an die berühmte Strandwache des Bauingenieurs Ulrich Müther im Ostseebad Binz auf Rügen. Konstruktiv verbindet die Bauten in Asien und in Europa nichts, ästhetisch aber alles: ihre aufgeständerte Form, ihr Inselstandort nahe am Meer und inzwischen auch ihr Verfall.
Die Trümmer der Utopie aber haben es Maix Mayer angetan – der Tauchgang in die Zukunft. Und dabei ist sein Kronzeuge der vor zwei Jahren verstorbene Rügener Baumeister Ulrich Müther, der die DDR-Moderne im leicht wie ein Schmetterling schwebenden, doppelt gekrümmten Betonschalentragwerkbau zu definieren suchte. Doch Müther blieb mit seiner Architektur ein Außenseiter; einer, der in der Vergangenheit für eine Zukunft baute, die schon in der Gegenwart der 1960er- und 70er-Jahre neben den Planetarien in Berlin, Tripolis und Wolfsburg meistenteils nur in Überdachungen für Haltestellen, kleinen Pavillons und etwas größeren Restaurants bestand. Vielleicht liegt es an diesen eher marginalen Bauaufgaben, die Maix Mayer in einer umfangreicher Serie von Aufnahmen dokumentiert, dass sein Fotofries, der einen Galerieraum in Beschlag nimmt, so frei von jeder Nostalgie und jeder Fetischisierung der Spuren ist.
Ganz anders mächtig und machtvoll fotografiert sind die Bauten in Halle-Neustadt, der realen DDR-Moderne, die inzwischen immer weiter zurückgebaut wird. Von deren Abriss erzählt ein weiteres kurzes Video, das am Bahnhof von „Haneu“ entstand, wie Halle-Neustadt von Beginn an abgekürzt wurde. Eine Abrissbirne traktiert einen kleinen Pavillon, der von Müther stammen könnte, es aber nicht tut (doch, seine Formensprache blieb nicht gänzlich ohne Folgen). Darüber laufen Sätze von radikaler Kompromisslosigkeit: es sei „die Bauerei vom ästhetischen Spekulantentum freizuhalten“ oder „wir kennen keine Form-, nur Bauprobleme“. Anders als man glauben möchte, stammt das Pamphlet nicht aus den Zeiten der Formalismusdebatte in der DDR, sondern ist ein 30 Jahre älteres Manifest von Mies van der Rohe von 1923. „Woran man sieht“, wie Maix Mayer sagt, „dass Mies van der Rohe mal ’ne klare Haltung hatte“.
Er ist ein jungenhafter Schlaks, so wie er in der Guardini-Galerie steht und die Wand mit dem Foto-Rhizom begutachtet: Farbaufnahmen im Flachbildschirmformat 16:9, die wild über die Fläche verteilt sind, verbunden durch ein Netz von Linien. Hier gleich zu Beginn des Rundgangs laufen die Fäden der Ausstellung zusammen, sein Flanieren und Sichtreibenlassen in Hongkong, seine strenge Dokumentation der Müther-Bauten, die Bilder seines Alter Egos Frank Birke, der in einem Park in Taipeh unter einem mütherähnlichen Pavillonschirm sitzt. Maix Mayer bezeichnet sich als einen „modernen Archäologen von Raumbildern“. Er meint, sofern man die Hieroglyphen des Raums entziffern könne, böten sie schon einen Abdruck der sozialen Wirklichkeit. Eine dieser Hieroglyphen findet sich an der Wand des anschließenden Raums. Es ist ein Zitat des italienischen Futuristen Antonio Sant’Elia, der am 11. Juli 1914 dekretiert: „Ich bekämpfe und verachte: 1. … 2. …“ Und wirklich, man weiß sofort, dass von einer ganz anderen sozialen Wirklichkeit die Rede ist als heute, wo solch ein rabiater Ton sofort gerügt würde.
Bis 24. April. Guardini-Galerie, Askanischer Platz 4, Di.–Fr. 14–19 Uhr