: Das Kind, das aus der Kälte kam
Britische Mediziner nutzten für künstliche Befruchtung Spermien, die vor über zwanzig Jahren tiefgefroren wurden
Selbst mit 21 Jahre altem Sperma kann noch ein gesundes Kind geboren werden. Zu diesem Resultat kamen Mediziner um Greg Horne vom St.-Mary’s-Hospital im englischen Manchester. Vor zwei Jahren hatte ein britisches Paar ein gesundes Baby zur Welt gebracht, das mit jahrelang konserviertem Sperma des Vaters gezeugt worden war.
Der Hintergrund: Im Jahr 1979 war dieser bereits mit 17 Jahren an Hodenkrebs erkrankt. Da zu erwarten war, dass er nach der Therapie – Operation, Strahlen- und Chemotherapie – unfruchtbar sein würde, kam den Ärzten eine Idee: Sie entnahmen dem Kranken fünf Ampullen seines Spermas und froren es ein.
Während der nächsten Jahre hat sich der Mann vielen Krebsbehandlungen unterzogen, seit 1992 gilt er als geheilt. Drei Jahre versuchte er nun, mit seiner Partnerin Kinder zu bekommen. Allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Verzweifelt suchte er ärztlichen Rat. 1998 stellten die Mediziner die Diagnose „Azoospermie“ – bei dieser Erkrankung hat die Samenproduktion stark nachgelassen. Daher hat das englische Paar, das anonym bleiben will, eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Ihr Kind sollte nun auf künstlichem Weg entstehen, mittels Befruchtung im Reagenzglas.
Die britischen Mediziner tauten zunächst den seit knapp zwei Jahrzehnten eingefrorenen Samen des Mannes auf und injizierten das Sperma im Labor in eine Eizelle der Frau. Diese Methode ist in der Fachwelt als die so genannte intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) bekannt. Nach Angaben der Ärzte waren dabei genug Embryonen entstanden, von denen drei tiefgefroren wurden. 2001 holten sie die Mediziner wieder aus dem Kühlschrank. Zwei von ihnen verpflanzten sie in den Uterus der Frau. Wie die Klinik versicherte, gebar sie vor zwei Jahren einen gesunden Jungen.
„Wir glauben, dass das die längste in der wissenschaftlichen Literatur bekannte Gefrierlagerung von Spermien ist, die zur Geburt eines Kindes führte“, teilt Elizabeth Pease vom St.-Mary’s-Hospital mit. Und der leitende Mediziner Greg Horne legt nach: „Dieser Fall beweist, dass Langzeit-Tiefkühlung die Qualität und Fruchtbarkeit von Spermien erhalten kann.“ Die englischen Ärzte hoffen, dass sie weiterhin jungen Männern, die an Krebs leiden, auf diese Weise helfen können.
Wie viel Jahre Samenzellen erfolgreich konserviert werden können, erscheint ungewiss. Zwar setzten Forscher in Tierversuchen sogar 40 Jahre alte Gefrierproben von Spermien zur Reagenzglas-Zeugung ein. Aber ob sich solche Experimente auf den Menschen übertragen lassen, bleibt fraglich. Dabei wird im Humanbereich von einer steigenden Nachfrage ausgegangen. Denn wie Studien zeigen, wächst die Anzahl junger Männer, die an Hodenkrebs erkranken, ständig an. JOACHIM EIDING