: Aufbruch gen Norden
Auswanderer ins europäische Ausland haben es seit der Gründung der EU viel leichter. Ein Erfahrungsbericht
Begonnen hatte alles damit, dass wir, fünf Freunde, Ende der 70er-Jahre, was Neues kennen lernen wollten. Italien und Frankreich waren abgeklappert. Portugal ein bisschen weit, warum also nicht in den Norden reisen? Fähre Kiel–Korsör, dann quer durch Dänemark, auf die Fähre Helsingör–Helsingborg, und schon bald hielten wir vor unserem Holzhäuschen.
Waren es die Luft, die Stimmung, das Häuschen? Ich weiß es nicht, doch bereits schnell war ich mir klar: Hier muss ich hin. Zurück in Berlin wechselte ich von der Anglistik zur Skandinavistik. Dennoch sollte es etliche Jahre dauern, bis aus Traum Wirklichkeit wurde. Job, Familie und vielleicht auch die Angst vor dem Neuanfang hielten mich zurück. 1989 musste ich mich entscheiden: Wir verkauften alles Verzichtbare und machten uns mit bescheidenen Ersparnissen auf den Weg. Persönliche Gründe führten uns in die Universitätsstadt Uppsala.
Der Anfang war einfacher als gedacht, Heimweh hatte ich nicht. Da ich ahnte, dass kein Arbeitgeber auf eine deutsche Journalistin warten würde, schrieb ich mich an der Uni ein, was uns zu einer Studentenwohnung mit dreijährigem Mietvertrag verhalf. Ein Glückstreffer.
Nach Absolvierung des Schwedischkurses für ausländische Studenten begab ich mich auf Jobsuche. Mein erster Arbeitsplatz befand sich in einem „Servicehus“, also einem Altersheim mit abgeschlossenen Wohnungen und Betreuung nach Wunsch. Hier lernte ich etliches über Land und Leute, die Hausbewohner wussten viel und ausführlich zu erzählen.
Die Einwandererbehörde missbilligte, dass ich meinen Status von der Studentin zur Arbeitnehmerin geändert hatte, und zwang mich zur Aufgabe meiner Beschäftigung, was mich in ein Dilemma stürzte. Da Anfang der 90er-Jahre Einstellungsstopp herrschte, durfte meine Stelle nicht neu besetzt werden: Ich hatte also die Wahl, nach Deutschland zurückzukehren und mir von dort aus eine Stelle zu suchen, zu studieren oder freiberuflich tätig zu sein. Ich wählte Letzteres, unterrichtete in Deutsch und schrieb als Freie. Veränderte internationale Verträge und später der Beitritt zur EU veränderten die Situation. In meinem Falle lohnten sich Ausdauer und das Ausprobieren verschiedener Jobs. Ich fand eine Stelle als technische Redakteurin in einem Unternehmen, die ich nach fünf Jahren zugunsten einer Chefredakteursstelle bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer aufgab. Hier hatte ich nun mit beiden Sprachen zu tun, konnte die Mitgliederzeitschrift erstellen und war zugleich wieder den unattraktiven deutschen Arbeitsstrukturen ausgesetzt. In Schweden arbeitet man lieber selbstständig sowie im Team unter schwachen hierarchischen Strukturen. Hier darf der Chef selbstverständlich geduzt und kritisiert werden. Initiativen seitens des Personals sind erwünscht. Nachdem ich die Handelskammer verlassen hatte, bemühe ich mich jetzt, eine Buchhandlung nach schwedischen Maßstäben zu leiten.
Was ich an Schweden mag? Offenheit und Vertrauen sind Selbstverständlichkeiten. Doch wer weiß, ob sich dies nach dem Tod von Außenministerin Anna Lindh nicht ändert. Es wäre schade, denn in Schweden spricht man noch miteinander. Hier können Politiker noch über sich selbst lachen. Hier denkt man daran, Bürgersteige abzusenken, damit Rollstühle und Kinderwagen vorbeikönnen, hier kriegen die Kids Essen in der Schule. Hier kann ich sein. INÊS LOHR