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Archiv-Artikel

Stille am Strand

2. Preis: Klapperlatschen und Magnum

von ULI HANNEMANN

Sie knurrt missmutig. Wir sind heute irre früh aufgestanden – kein Wunder, dass sie jetzt nicht vor Freude singt. Angewidert blickt sie mich an und macht im Sand erste Gehversuche mit ihren hochhackigen Klapperlatschen. „Wie soll ich denn hier laufen? Hä? Wie hast du dir denn das vorgestellt?“

„Zieh doch die Schuhe aus – der Sand ist ganz weich!“

Sie streift die Latschen ab, geht zwei Schritte barfuß im Sand, springt dann plötzlich in die Luft und brüllt: „Mann, verdammt, der Sand ist saukalt – du Idiot!“

Ich finde ja nicht, dass er zu kalt ist, aber ich verstehe sie ja: Erst so früh aufgestanden und dann wie die Blöden zum Bahnhof gehetzt – schön war das nicht. „Komm, ich trag dich“, biete ich ihr an. Sie stellt sich vor mir auf und macht sich schwer. Sie kann sich unheimlich schwer machen, wen sie will – das ist ihre Spezialität. Trotzdem gelingt es mir, sie hochzuheben.

„Aua, du Spinner, pass doch auf. Du klemmst mir total meine Speckröllchen ein!“

„Entschuldigung!“ Ich verlagere meinen Griff. Sie hat es wirklich nicht leicht heute: Am Bahnhof das Schleswig-Holstein-Ticket gekauft und dann in eine völlig überfüllte Regi-Bahn – da muss man ja schlecht draufkommen. Ich wuchte sie vorsichtig durch den Sand bis an eine hübsche Stelle, breite dort mit einer Hand die große Decke aus und setze sie dann mit der anderen behutsam mittendrauf. Ich selber kauere am Deckenrand.

„Du nimmst mir schon wieder die ganze Decke weg“, mault sie, „mir ist langweilig. Ich hab Durst. Hier ist alles voller Sand!“

„Das ist eben ein Sandstrand“, erkläre ich geduldig. Natürlich ist ihr Nervenkostüm strapaziert: mit der vollen Bahn hier angekommen und dann noch endlose zwanzig Minuten auf Klapperlatschen durchs Dorf gelaufen, bis wir endlich am Strand waren. „Komm, ich mach den bösen Sand weg“, verspreche ich und setze das Schäufelchen an, während sie sich umsieht.

„Was hat denn die für seltsame Titten?“, lästert sie.

„Wer?“ Ich drehe mich um.

„Du glotzt schon wieder! Wie du schon wieder glotzt! Die ist doch gerade mal 20, du Kinderficker!“

„Ich hol dir ein Eis“, schlage ich vor, „was möchtest du denn?“

„Magnum Mandel! Nee – normales Magnum!“

„Das ist ein normales Magnum“, beschwert sie sich enttäuscht, als ich zurück bin, „ich wollte aber Magnum Mandel!“

„Dann ess ich das halt!“ Ich esse das Eis.

„Du hast mein Eis gegessen, du Arschloch!“ Wutentbrannt wirft sie mir eine Hand voll Sand ins Gesicht. Das ist nur logisch: endlich am Strand gewesen, nur um dann festzustellen, dass der nicht die Bohne klapperlatschenkompatibel ist – was für ein Schock! „Außerdem ist es heiß“, nörgelt sie.

„Dahinten kann man Sonnenschirme mieten“, fällt mir ein, „ich hol mal einen – dann wird’s bestimmt gleich besser.“ Ich besorge einen Schirm und stelle ihn auf. Sie schließt die Augen und schläft ein. Nach einer Viertelstunde erwacht sie wieder. „Es ist kalt hier“, nölt sie, „bestimmt wegen dem Sonnenschirm. Hast du den hier aufgestellt, du Penner?“

Ich entschuldige mich dafür. Das geht so nicht – ich muss wirklich besser überlegen, was ich tue, gerade, nachdem eh schon so viel vorgefallen ist:

Erst mit den Klapperlatschen nicht durch den Sand laufen gekonnt, dann hochgehoben worden und dabei ganz übel die Speckröllchen gequetscht. Ganz klar meine Schuld: Ich habe einfach nicht aufgepasst – wie auch jetzt wieder mit dem Sonnenschirm.

„Ich muss mal“, erhebt sie sich und setzt einen Fuß in den Sand. Sofort schreit sie auf: „Au, ist der heiß – spinnst du jetzt total?“

Ich bitte sie um Verzeihung – das Mindeste, was ich tun kann.

„Trag mich“, befiehlt sie. Ich hebe sie hoch und bin erneut zu ungeschickt.

„Au – meine Speckröllchen“, faucht sie.

Schnaufend schleppe ich sie zum Klohäuschen und wieder zurück. Klar, dass sie gereizt ist: erst schon mal die Speckröllchen eingeklemmt bekommen, dann Langeweile, Durst und Sand. Schlimm war das! Später von mir Schwein auch noch das Eis gestohlen und der frauliche Stolz verletzt worden. Zur Wiedergutmachung biete ich ihr an, sie ein wenig einzugraben. Murrend willigt sie ein und ich verbuddle sie, bis man nur noch den Kopf sieht. „Siehst aus wie Vogel Strauß“, lobe ich uns.

„Was hattest du eigentlich in Erdkunde, du Pfeife“, stänkert sie, „ein Strauß hat immer den Kopf im Sand!“

Wie recht sie doch hat! Machtvoll durchströmt mich ein Gefühl inniger Liebe. Zumindest glaube ich, dass es Liebe ist – denn Liebe und Hass sind schon zwei verteufelt ähnliche Brüder. Flugs bessere ich mein Werk nach. Es herrscht wieder Stille am Strand.

Fotohinweis: Uli Hannemann, 38, ist freier Autor in Berlin