Frau Faustus

Königspaarung oder notdürftig kaschiertes Leben ohne sexuelle Freuden? Zwei neue Biografien über Katia Mann untersuchen, ob die selbstbewusste Frau aus großbürgerlichem Elternhaus nach ihrer Heirat mit Thomas Mann mehr als bloße Muse war

Eine Frage, die jeden bewegt, ist: Hatten sie Sex miteinander?Ja, sie hatten

von SUSANNE MESSMER

Frauen von heute schaffen alles, was sie wollen. Sie sind „stark, sexy, single“ und haben deshalb „auf der Suche nach dem Richtigen jede Menge Spaß mit dem Falschen“. Wenn dann doch irgendwann die große Liebe kommt, „informieren sie sich sofort über den Mutterschutz“. Nach der Geburt sind sie wieder „schlank in 30 Tagen“. Und wenn es langweilig in der Ehe wird, helfen sie mit „Rollenspielen, Sextoys und Hotelfreuden“ aus. Das jedenfalls meinen die aktuellen Ausgaben der Cosmopolitan, Brigitte und Freundin. Was um alles in der Welt sollte moderne Frauen also dazu veranlassen, eines der beiden neuen Bücher über Katia Mann zu lesen, sei es die Biografie „Frau Thomas Mann“ von Inge und Walter Jens oder „Die Frau des Zauberers“ von Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck? Wen interessiert heute noch eine Schattenfrau, die abgesehen von ihren nicht besonders aussagekräftigen, sehr kurzen Memoiren nicht viel mehr Spuren hinterlassen hat als beispielsweise Constanze Mozart und Christiane Goethe-Vulpius?

Es soll ja eine Menge junger Frauen geben, die das immerwährende Müssen und Sollen als Zumutung empfinden. Die große Befreiung, wie sie ihnen von ihren Müttern verkauft wurde, ist ausgeblieben. Für solche Frauen, die immer dringender nach Alternativen suchen, könnten die Biografien von Katia Mann für Aufregung sorgen: Katia Mann war nicht emanzipiert nach heutigen Maßstäben; trotzdem hat sie das, was Emanzipation heute alles kostet, nie zahlen müssen. Zum Beispiel hat sie sicher nie „Beziehungsarbeit“ leisten müssen und trotzdem war ihr Umgang mit Thomas Manns Faible für Männer souverän. Zugleich war sie eine der wichtigsten Gesprächspartnerinnen und Stofflieferantinnen für ihn, führte eine Zweckehe mit ihm, in der selten der Gesprächsstoff knapp wurde, hörte aber auch nie auf, die aktive Liebende und die begehrte Geliebte zu sein. Und außerdem: Sie widmete ihre Arbeitskraft keinem Chef, der, sagen wir, Software produziert oder Werbeslogans, sondern dem anerkanntesten Autor seiner Zeit.

Es gibt noch andere Gründe, warum man Interesse finden könnte an den Biografien über Katia Mann. Nicht nur geht es um eine emanzipierte Unselbstständige, auch die Art, wie sich die beiden Autorenteams ihrem Gegenstand annähern, verrät viel über den Umgang verschiedener Generationen mit dem Geschlechterkampf. Während sich Inge und Walter Jens, Jahrgang 1927 und 1923, höflich distanziert ihrem Gegenstand nähern, haben Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck hauptsächlich Schablonen im Kopf. Geboren 1949 und 1943, waren die beiden Autorinnen 1968 um die zwanzig Jahre alt. Auch wenn sie vielleicht nicht an die Weltrevolution glaubten: Wie sie Katia Mann beurteilen, das hat viel mit dem Vater- und Muttermord gemein, den ihre Generation betrieben hat. Die Art, wie sie immer Küchenpsychologie betreiben, wenn es darum geht, über die seelischen Verletzungen Katia Manns zu spekulieren, führt präzise vor, was passiert, wenn Grundsatzerklärungen genaues Hinsehen verhindern. Kein Mensch braucht sie noch, verschraubte Sätze wie diesen: „Das, was an ihrem Verhalten nach außen hin leicht arrogant wirken konnte, war wohl tatsächlich ein Kompensationsversuch des schon obligatorisch zu nennenden Unterlegenheitsgefühls der Partnerin eines auch nach ihren Kriterien bedeutenden Menschen, der es nicht schaffte, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, ja dieses sogar untergrub.“

Auch Leute, die noch nie ein Buch von Thomas Mann gelesen haben, wissen heute dank der Ausschlachtung des Privatlebens der Familie Mann, dass Thomas Mann Homoerotiker war. Jeder, der die Biografien Katia Manns aufschlägt, wird sich daher zuerst fragen, wie sie damit klargekommen ist. Wie sie sich mit zunehmendem Alter immer ähnlicher sahen – hat sie, die immer maskuliner wurde, sich seinen Bedürfnissen angepasst? Wusste sie es von Anfang an? Redeten die beiden darüber?

Katia Mann saß zeitlebens viel zu sicher im Sattel, als dass sie die homosexuellen Wunschfantasien ihres Mannes hätten verletzen können. Als Mädchen, erzählen die beiden Biografien, zeigte sie wenig Lust, das großbürgerliche Elternhaus für Thomas Mann zu verlassen, für diesen „steifen Rittmeister“, wie ihn ihre Brüder schimpften, diesen „Pimperling“, wie ihn ihre Mutter später einmal nannte. Für Thomas Mann bedeutete die Heirat viel mehr als für sie: die Sicherung der bürgerlichen Existenz. Doch nicht nur aus Vernunftgründen war Katia Mann immer die Umworbene. In seinen Briefen beschwor Thomas Mann die Vision des Königspaars. Immer wieder hat er sie, seine Muse, in seinen Frauenfiguren verewigt, zuerst in der Sieglind aus „Wälsungenblut“, eine dekadente Figur, die sich in ihren Bruder verliebt – Geschwisterliebe, erinnert man sich, gilt seit der Romantik als ultimatives Liebesideal.

Nicht nur von Haus aus stolz und von ihrem Mann begehrt war Katia Mann, sie zeigte sich auch selbst immer wieder als überlegene Liebende. Aus den wenigen Briefen Katias an Thomas, die erhalten sind, sprechen Selbstironie und Sarkasmus. Immer wieder pochte sie auf mehr Aufmerksamkeit, wenn Thomas Mann nachlässig zu werden drohte. Aber nicht nur Thomas Mann gegenüber zeigte sich Katia von einer sehr forschen Seite. Während sich Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck allzu oft mit Aussagen Dritter über Katia Mann zufrieden geben, haben Inge und Walter Jens in ihrer Biografie eine große Überraschung ausgegraben: die Briefe Katia Manns an Molly Shenstone, eine Freundin, die sie in Princeton kennen gelernt und in die sie sich eindeutig verknallt hatte. Ihre Briefe, die, als Molly seltener schrieb, immer drängender wurden – „I can assure you that my inner attitude towards you has not changed in the least“ – lässt das Ehepaar Jens treffsicher und charmant schlussfolgern: „Leidenschaft war im Spiel.“ Hatte sich Katia bei ihrem Mann die Homophilie abgeguckt?

Inge und Walter Jens stellen das Verhältnis Katias zur Homosexualität ihres Mannes als entspannt dar, als Produkt ihrer Erziehung im großbürgerlichen Milieu. Im Hause Pringsheim ging es tolerant zu, die Geliebte von Katias Vater war „regelmäßiger Gast am berühmten sonntäglichen Teetisch der Hausherrin“. Katias Zwillingsbruder war homosexuell, und als später ihre Kinder gleichgeschlechtliche Partner mit nach Hause brachten, nahm sie es gelassen. Auf gemeinsamen Spaziergängen schaute sie ihrem Mann bei seinen Schwärmereien zu, „halb gerührt, halb amüsiert“, schreiben Inge und Walter Jens. Als sich der 75-Jährige noch einmal in einen jungen Kellner verguckte, diskutierte sie sogar mit ihm seine Liebesbriefe. Während Jüngling und Roßbeck umständlich darüber spekulieren, ob Katias Krankheiten ihren Kummer über Thomas’ schwule Träume zur Ursache hatten – „Was mag es sie gekostet haben, sich dazu durchzuringen, nichts weiter daran zu finden“ –, stellen Inge und Walter Jens trocken fest: Nicht die homosexuelle Liebe war der Motor von Thomas Manns Kreativität, sondern gerade seine unerfüllte Sehnsucht danach. Sie gehen davon aus: Katia Mann wird um diesen Mechanismus gewusst haben.

Eine weitere wichtige Frage, die jeden bewegt, der die Biografien Katia Manns aufschlägt, ist: Hatten sie Sex miteinander? Ja, sie hatten, erzählen Inge und Walter Jens weniger erstaunt, während Jüngling und Roßbeck wie von einem nicht zu lösenden Welträtsel berichten. Thomas Mann hatte in Katia eine Geliebte, die er auch nach zwanzig Jahren Ehe erotisch fand, wie sein Tagebuch vermerkt. Abends plauderten sie auf ihrem Zimmer oft über Politisches, sie hätschelten sich gegenseitig, wenn sie krank waren, und es ist sogar überliefert, dass sie nach offiziösen Empfängen oft noch zusammen um die Ecke ein Bier trinken gingen, um den Abend noch einmal durchzuhecheln.

Es ist amüsant, bei Inge und Walter Jens das verstärkte Interesse zu beobachten, das sie der inhaltlichen Zusammenarbeit von Katia und Thomas Mann entgegenbringen. Königspaar knüpft sich Königspaar vor: In Talkshows haben sie erzählt, dass eigentlich Inge Jens die Idee zur Biografie hatte und er nur aufgesprungen sei. Wie Walter Jens, der für die Passagen über Thomas Mann zuständig gewesen sei, oft zu viel geschrieben habe und dann von ihr den Auftrag bekam, das Kapitel zu kürzen. Inge und Walter Jens haben es bei Katia Mann mit der Generation ihrer eigenen Eltern zu tun. Der Blick auf sie ist freundlich distanziert, von der Sicherheit derer geprägt, die es anders gemacht haben, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Inge Jens ist studierte Germanistin und hat nie aufgehört, in ihrem Beruf zu arbeiten. Das Ehepaar Jens lebt nicht mehr wie Akademikerpaare vor hundert Jahren, wahrt aber den guten Ton, hält rührend nostalgisch an den distinguierten Umgangsformen des Bildungsbürgertums fest, auch dann noch, wenn es um Schattenseiten der Familie Mann geht – etwa das ungerechte Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern.

Kaum verwunderlich ist es also, dass sich bei Inge und Walter Jens die Episoden über Katia Manns Mitarbeit bei seinen Romanen am schönsten lesen. Besonders hat Thomas Mann für den „Zauberberg“ von ihren Erzählungen über ihren Sanatoriumsaufenthalt in Davos profitiert, erfährt man und dass sie sich von ihm täglich das neu Geschriebene vorlesen ließ. Das Ehepaar Jens gesteht Katia Mann mehr zu als die Rolle der Zuarbeiterin, in der sie Jüngling und Roßbeck so gern sehen würden: Katia Mann schrieb nicht nur Briefe für ihn. Sie handelte Honorare aus, las die Bücher, die er als Jurymitglied bei Preisausschreiben hätte lesen sollen, begleitete ihn auf Reisen und organisierte die Umzüge. Das ist mehr, als man heute von so manchem Job verlangen kann.

Irgendwo im Buch von Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck, die sich allzu vehement von allem distanzieren müssen, was in ihren Augen nicht emanzipiert sein kann, gibt es einen Satz, der noch einmal die Klischees, an denen sie kleben, ganz gut trifft. Thomas Mann konnte sich seinen Kaffee nicht selbst kochen, empören sie sich. Na und, werden die sagen, die genug haben von Partnerschaftsarbeit und Beziehungsmassage. Katia Mann hat sich ihren Kaffee auch nicht gekocht, dafür hatte sie Angestellte. Ihre großbürgerliche Lässigkeit, die ihr manchmal mehr Freiheiten verschaffte als den sexy Singles mit ihren Workouts und ihrer Work-Life-Balance von heute, fangen Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck auf diese Weise nicht ein.

Inge und Walter Jens: „Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003, 352 Seiten, 19,90 €ĽKirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck: „Die Frau des Zauberers. Propyläen Verlag, München 2003“, 416 Seiten, 22,90 €