Tanzlehrers Rache

Castingshows sind der Tummelplatz einer neuen Streberjugendkultur – und Detlef „D!“ Soost ist ihr Leistung, Disziplin und Härte fordernder Dompteur

von SILVIA HELBIG

Maya steht in Abwehrhaltung vor dem Koloss: „Dee, ich hab Angst vor dir, verstehst du das nicht?“ Sie kommt bei dem Rumgehampel nicht mit. Dee versteht nicht. Die „Choreo“ ist doch „supi einfach“. Wenn die das nicht rafft, dann strengt sie sich nicht doll genug an. Von ihm kann sie kein Mitleid erwarten. Was für Deutschlands berühmtesten Tanzlehrer zählt, ist: Leistung, Disziplin und Härte. „Wir sind keine Kindergartenerzieher, keine Psychologen und Bauchstreichler“, stellt Dee klar. Und ein Großteil der Kids hat das kapiert: „Das ist gut, was Dee macht. Er sagt, dass wir ihn lieber hassen sollen, als dass er sich den Vorwurf machen müsste, nicht alles aus uns rausgeholt zu haben“, will Mayas Freundin die Verzweifelte einschwören.

Was auf den Zuschauer wie ein Alptraum wirkt, ist für die Jugendlichen ein Traum. Sie sind die Auserwählten, die im Trainingscamp in Florida nach Dees Pfeife tanzen und tapfer ihre Tränen verstecken. Wer bis zum Schluss durchhält, kann ein richtiger Popstar werden, wie die No Angels. Die haben den Job zwar gerade geschmissen, weil er zu hart ist, doch das ist kein Grund für die Teenager, an der Einmaligkeit ihrer Chance zu zweifeln. Und eigentlich wäre das bisschen Gesangstraining unter der heißen Sonne Floridas auch ganz lässig, wenn da nicht Dee, der berüchtigte Tanzlehrer, wäre. Erbarmungslos treibt er die Jugendlichen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Dabei müsste der 32-Jährige nur zu gut wissen, wie sehr autoritärer Druck nervt. Er ist selbst durch eine harte Schule gegangen. Mit sieben Jahren ist der gebürtige Ostberliner in einem Kinderheim gelandet. Die todkranke Mutter konnte sich nicht mehr um ihren Sohn kümmern, der Vater war zurück nach Ghana gegangen. Man kann sich vorstellen, dass es für Detlef Soost nicht einfach war. Warum er heute noch auf Rassismus reagiert wie der Stier auf ein rotes Tuch. Weshalb Respekt für ihn die wichtigste Tugend ist. Und wie eiserne Selbstdisziplin dem gelernten Werkzeugmacher geholfen hat, seinen Weg als Tänzer zu gehen.

Die authentische Biografie des schwer erarbeiteten Erfolges ist nicht unsymphathisch. Man muss zugeben, dass der Fernsehfiesling in natura sehr freundlich ist. Also alles nur Show für die Show? Nein, ganz und gar nicht, beteuert Soost. Die Härte sei echt, auch wenn keine Kamera da wäre, fordere er von seinen Schülern alles. „Wer tüchtig ist, kann sein Schicksal schlagen.“ Mit diesem individuell geprägtem Lebensmotto quält der autoritär erzogene Ossi nun ruhmessüchtige Wohlstandskinder.

Dee glaubt zu wissen, warum die Jugendlichen sich das gefallen lassen: „Die Castingshows bieten den Kids eine neue Möglichkeit, Ziele zu haben. Wenn man sich heutzutage in den Schulen umguckt, wo ja sehr diplomatisch gelehrt wird, dann sieht man, dass die Kids den Lehrern auf der Nase rumtanzen und nichts lernen.“

Von Eltern und Lehrern mit rücksichtsvollen Urteilen und laschen Repressalien bedacht, sehnen sich die antiautoritär erzogenen Jugendlichen nun nach Schliff statt Schluff. Bedenkenlos werfen sie alle Freiheit über Bord, um im 24-Stunden-Trainingscamp mit Feldwebel Dee mitzumachen.

Nicht nur der ganz normale Teenie-Starkult um No Angels & Co., sondern der Wunsch nach neuen Vorbildern soll es also sein, der die Kids scharenweise zu den demütigenden Castings treibt? Wenn man die Eltern sieht, die ihren Nachwuchs zu diesen Veranstaltungen begleiten, könnte es einleuchten, dass die Jugendlichen neue Autoritäten brauchen. Es entgeht sogar dem Beschützerinstinkt der Erzeuger, wie ihre Kinder von der Unterhaltungsindustrie verarscht werden. Wie sollen dann die Jugendlichen selbst merken, dass sie bei diesem schamlosen Spektakel nicht mitmachen müssen? Doch der Run auf die Castings hält an: „Ich konnte das gut im Vergleich der ersten zur dritten Popstars-Staffel verfolgen. Wie super vorbereitet die Kids zur dritten Staffel kamen, weil sie seit der ersten Staffel an ihren Zielen gearbeitet haben“, lobt Dee die neue Generation leistungswilliger Teenager.

Angesichts dieses sehr einseitigen Motivationsschubs schlägt die Politik Alarm. Der Sozialdemokrat Christoph Matschie, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, warnt: „Die Castingshows entführen die Jüngeren in eine Scheinwelt, die ihnen ein Erfolgsmodell vorgaukelt, das nur bei wenigen funktioniert. Die jungen Leute beschäftigen sich nicht mehr mit ihren eigenen Problemen. Die Wirtschaft aber braucht gut ausgebildete Leute, die mit beiden Beinen im Leben stehen.“

Die Süddeutsche Zeitung antwortete darauf, dass in den Castingshows keine Scheinwelt erzeugt würde, sondern die gesellschaftliche Realität abgebildet wäre: Zwanzigtausend Bewerber kämpfen um ein Hand voll freier Stellen. It’s an Assessment Center, you know?

Da ist was dran, wenn man hört, warum die Jugendlichen Popstar werden wollen. Nicht Ruhm, sondern Sicherheit ist der Antriebsfaktor. „Ich möchte davon leben können“ ist eine häufig genannte Begründung. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die Popstar-Kandidaten beim Workshop in Florida sogar nachts tanzen, damit die Choreografie beim Ausscheidungsduell sitzt.

Für den Workaholic Dee sowieso eine Selbstverständlichkeit. Nur Maya sieht keineswegs ein, warum sie sich weiter triezen lassen soll. Sie übt nicht über den Stundenplan hinaus. Ein klares Ausscheidungskriterium: „Maya? No chance“, angelsächselt Detlef „D!“ Soost noch vor der Endausscheidung in die Kamera.

Und tatsächlich ist Maya dann unter den ersten drei Mädchen, die rausfliegen. Während die anderen beiden weinend zusammenbrechen, sieht Maya den geplatzten Traum vom Popstarleben gelassen: „Das war eine Erfahrung, die man machen kann. Dee ist ein Arsch. Es ist sein Job, ein Arsch zu sein. Das ist schlimm genug.“