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Archiv-Artikel

Der lange Weg nach Berlin

Die Wahl 2002 schien noch mal bewiesen zu haben, dass kein Bayer Bundeskanzler werden kann, auch keine so preußische Figur wie Stoiber. Stimmt das noch?

Dies ist kein Sieg der gesamten Union. Es ist Edmund Stoibers Sieg. Das wird sich auszahlen

Wenn sich die Aufregung über den Erfolg von Edmund Stoiber – spektakulär! super! nie dagewesen! – gelegt hat, also in ein oder zwei Tagen, dann wird deutlich werden, dass der Ausgang der bayerischen Landtagswahlen für den Rest der Republik vollkommen egal ist. Vorläufig.

Die CSU könnte sogar 98 Prozent im Freistaat bekommen, und dennoch änderte sich nichts an den Verhältnissen dort. Schließlich ist es auch bisher nicht so gewesen, dass allein der machtvolle Widerstand der Opposition tief greifende politische Veränderungen verhindert hat. Warum sollte die CSU in Bayern übrigens viel ändern wollen? Es läuft doch ganz gut für sie.

Weitreichende Folgen hat das Wahlergebnis zunächst nur für das Binnenklima der Unionsparteien. Schon wahr: Eigentlich ist nichts Überraschendes passiert. Es ist bereits seit längerer Zeit bekannt, dass die Bayern mehrheitlich Edmund Stoiber ganz prima finden und ihn auch gern im Kanzleramt gesehen hätten. Die Tatsache, dass sie ihrer Meinung nun erneut Ausdruck verliehen haben, ist nicht erstaunlich und deshalb – streng logisch betrachtet – eigentlich kein Grund, den bayerischen Ministerpräsidenten jetzt für stärker zu halten als vorher. Aber die politische Psychologie folgt eben nicht den Gesetzen der Logik, und deshalb haben Angela Merkel und Roland Koch nun ein gemeinsames Problem. Sie kommen gegen Edmund Stoiber nicht mehr an.

In der Irrationalität der politischen Psychologie liegt im Fall Stoiber übrigens eine höhere Gerechtigkeit. Bisher hat sie sich nämlich gegen ihn gerichtet. Alles, was gegen seine neuerliche Spitzenkandidatur im nächsten Bundestagswahlkampf bisher ins Feld geführt wurde, war eigentlich Quatsch: Schon Willy Brandt und Helmut Kohl haben eindrucksvoll bewiesen, dass die Verlierer von gestern durchaus die Gewinner von morgen sein können. Deshalb hätte die Niederlage – noch dazu eine so knappe Niederlage! – von Edmund Stoiber bei der letzten Wahl überhaupt kein Argument sein dürfen, seine neuerliche Bewerbung um das Amt des Regierungschefs für unwahrscheinlich zu halten. Aber da jeder Verlierer erst einmal geschwächt ist, konnten interessierte Kreise in der Union an dieser unsinnigen Verknüpfung so lange häkeln, bis sie von zahlreichen politischen Beobachtern für sinnvoll gehalten wurde. Jetzt ist Stoiber aber nicht mehr geschwächt.

Und sein Alter? Meine Güte. Der Mann ist gerade mal zwei Jahre älter als Gerhard Schröder. Dieser Abstand reicht selbst in einer schnelllebigen Zeit nicht für einen Generationenkonflikt. Bleibt die Behauptung, die Deutschen wollten eben keinen Bayern als Kanzler haben, und deshalb sei jeder Kampf ums Kanzleramt, der von München aus geführt werde, zum Scheitern verurteilt. Siehe Strauß. Aber gerade der Hinweis auf den einflussreichen Vorgänger in der Staatskanzlei zeigt, dass dieses Argument nicht trägt: Franz Josef Strauß hat seine landsmannschaftliche Prägung wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Er polarisierte und spaltete die Nation – in glühende Anhänger und erbitterte Gegner. Von alldem kann bei Edmund Stoiber keine Rede sein. Gelassenheit, sogar Langeweile prägte den bayerischen Landtagswahlkampf. Nicht etwa hysterischer, ideologisch aufgeheizter Kampfeswillen.

Nein, als Persönlichkeit hat Edmund Stoiber das Erbe von Strauß nicht angetreten. Interessant wird allerdings in den nächsten Monaten zu beobachten sein, bis zu welchem Grad er sich als der politische Erbe seines einstigen Vorbilds versteht. Wird der Ministerpräsident die alte Sonthofen-Strategie seines Vorgängers wieder zum Leben erwecken? 1979 hatte Franz Josef Strauß in dem bayerischen Ort auf einer Tagung der CSU-Landesgruppe eine dramatische Rede gehalten, in der er jeder Zusammenarbeit mit der sozialliberalen Koalition eine eindeutige Absage erteilte. Deutschland stehe am Anfang einer großen Krise, aber die Krise müsse noch größer werden, damit sich das politische Klima für die Union verbessere. Deshalb sei es nicht sinnvoll, wenn die Opposition sich an Maßnahmen gegen die wachsende Arbeitslosigkeit und die Zerrüttung der Staatsfinanzen beteilige.

Sollte Stoiber den Beweis antreten wollen, dass sich Geschichte eben doch wiederholt, dann erwiese sich, dass der Ausgang der bayerischen Wahlen mittelfristig sehr weitreichende Folgen für den Rest der Republik haben wird. Denn die Entscheidung über die künftige Strategie der Union wird von nun an ihm vorbehalten sein. Gewiss, auch Angela Merkel hat in den letzten Monaten immer wieder versucht, bloßen Widerstand ohne eigenes Gegenkonzept als Politik zu verkaufen. Aber eine Oppositionsführerin im Parlament hat es nicht leicht, wenn sie Profil mit diesem Kurs gewinnen will. Den Nachweis, dass sie es besser könnte als der Regierungschef, kann sie nicht antreten. Stoiber hingegen ist gerade von den bayerischen Wählern bescheinigt worden, dass er es besser kann. Ob dieses Urteil gerechtfertigt ist oder nicht, spielt für die Wirkung keine Rolle.

Angela Merkel und Roland Koch haben seit Sonntagabend ein gemeinsames Problem: Stoiber

Führungsschwäche, ein blasses Erscheinungsbild und eine seltsame politische Unentschlossenheit werden Angela Merkel in den eigenen Reihen immer häufiger zum Vorwurf gemacht. Es wäre allzu einfach, dieses Urteil als erwartbare Mäkelei karrierefördernder Männerbünde zu bewerten. Der konservative Widerstand gegen eine Frau an der Spitze mag zur Unzufriedenheit mit der CDU-Vorsitzenden beitragen, aber sie macht es ihren Gegnern auch nicht schwer. Wofür nämlich steht Angela Merkel? Eben. Nicht einmal ihrem Generalsekretär ist auf diese Frage bisher eine überzeugende Antwort eingefallen. Da hilft es auch nicht viel, wenn Laurenz Meyer jetzt tapfer den Sieg von Edmund Stoiber als Gemeinschaftsleistung der Union interpretiert. Ein netter Versuch. Aber meint wirklich irgendjemand, der bayerische Ministerpräsident habe im Allgäu oder in der Oberpfalz die Hilfe von Angela Merkel gebraucht?

Hätte Stoiber, womit nicht zu rechnen war, ein eher enttäuschendes Ergebnis erzielt, dann wären die Chancen für Roland Koch gestiegen, der nächste Spitzenkandidat der Union zu werden. Ihm unterstellt niemand, er sei profillos oder es fehle ihm an politischen Konzepten. Dennoch hat er gegen ein schweres Handikap zu kämpfen: Auf dem Bildschirm wirkt er ganz einfach unsympathisch. Koch weiß das selbst, er hat in Interviews schon offen über dieses Problem gesprochen, und er scheint sich bisher damit ganz gut arrangiert zu haben. Auf der überschaubaren Landesebene lässt sich ein solcher Mangel durch persönliche Auftritte ja wenigstens teilweise ausgleichen. Auf Bundesebene jedoch kann dieser Faktor in einer Mediengesellschaft bei einem knappen Rennen über Sieg oder Niederlage entscheiden. Nun verfügt zwar auch Edmund Stoiber nicht über die Qualitäten eines Popstars. Aber wenn die Bundesregierung so weitermacht wie bisher, dann dürfte das Bild vom biederen, etwas steifen Bürokraten, das Stoiber verkörpert, für einen Wahlsieg reichen. BETTINA GAUS