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Archiv-Artikel

Reform ohne Segen

Montags: Forum! – In der taz Nord kommentieren Experten und Engagierte Ängste und Proteste aufgrund der Sozialreformen. Heute: Landesbischöfin Margot Käßmann über die Situation der Frauen nach den Hartz-Gesetzen

von LandesbischöfinMargot Käßmann

Manche haben mir in den letzten Tagen angeboten, zu erklären, wie Hartz IV wirklich ist, nach dem Motto: eine Bischöfin versteht das wahrscheinlich sowieso nicht.

Sie hatten recht: Auch nach Lektüre der Gesetzestexte bin ich nicht wirklich schlau geworden. Hartz IV verstehen, für sich selbst berechnen, da braucht der Mensch fast einen Hartzberater … vielleicht ein Jobcreator?

Nein, ums Verhungern geht es nicht. Aber eine Kinokarte wird für manche nicht mehr drin sein, ein Urlaub mit den Kindern auch nicht.

Besondere Sorge macht mir die Situation der Frauen nach Hartz I bis IV. Sie sind weit überdurchschnittlich im Bereich niedriger Löhne und in den so genannten haushaltsnahen Berufen tätig. Vor allem sie werden deshalb in Minijobs und Leiharbeit gedrängt werden. Schon heute sind viele alleinerziehende Mütter von Sozialhilfe abhängig, dazu kommen 1,2 Millionen Kinder.

Ob die Kommunen wie versprochen mit dem gesparten Geld in die Betreuung für unter Dreijährige investieren, steht in den Sternen. Dabei gelten Mütter mit Kindern unter drei Jahren demnächst als grundsätzlich arbeitsfähig, von der Arbeitsfähigkeit bei Kindern über drei Jahre wird sogar ausgegangen.

„Zu späte“ Berufsrückkehrerinnen haben ein echtes Problem, da Mütter nur noch bis zum vierten Lebensjahr des jüngsten Kindes versichert sind und danach keinen Arbeitslosengeldanspruch mehr haben werden.

Was geschieht, wenn Väter mit ALG II ihren Unterhaltverpflichtungen nicht nachkommen können, konnte ich aus den Regelungen nicht ablesen. Das Armutsrisiko für nichteheliche Kinder, für geschiedene Frauen und ihre Kinder ist in jedem Fall akut. Außerdem wäre davon zu reden, dass in der Schwangerschaftsvorsorge etliche Leistungen angeboten werden, die jetzt zuzahlungspflichtig sind und von den Frauen aus Unsicherheit angenommen werden.

Eine Selbsthilfegruppe berichtete mir, dass die Kassen inzwischen nur noch fünf Prozent der Medikamente für Kinder über zwölf Jahre bezuschussen. Die Anträge auf Mütter-Kind-Kuren nehmen gleichzeitig rapide ab, die Bewilligungspraxis der Kassen ist oft rigide.

Betroffen sein werden auch Arbeitslosenhilfe-Empfängerinnen, die mit einem Partner zusammenleben, dessen Einkommen nun angerechnet wird. Gleichzeitig sinken die Vermögens-Freigrenzen. Frauen sind damit wieder stärker vom Partner abhängig, und sie verlieren, wenn sie kein eigenes Einkommen haben, den Anspruch auf Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zirka 200.000 Frauen im Westen und 960.000 Frauen im Osten dürfte das betreffen.

Schließlich gibt es den Wegfall des Rechtsanspruchs auf Eingliederungszuschuss für Berufsrückkehrerinnen. Wiedereinsteigerinnen erhalten keine Leistungen mehr, nur noch der reine Lehrgang wird bezahlt. Unterkunftskosten, Kinderbetreuung, Schuldner- und Suchtberatung, Erstausstattung, Klassenfahrten – all das fällt in die Zuständigkeit der Kommunen, wohl gemerkt „ohne Optierung“. Was wird das für die Einzelne bedeuten? Der Gang von Pontius zu Pilatus …

Viele sagen, die Montagsdemonstranten hätten nicht alles verstanden. Wenn ich sage, ich auch nicht, handle ich mir den Vorwurf ein, mich nicht genug mit der Materie befasst zu haben. So sind sie, die Frauen, sie raffen es nicht! Aber es möge sie keiner auffordern, in dieser Situation die Geburtenquote in unserem Land zu erhöhen.