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Archiv-Artikel

Eine Katze beherrscht die Welt

Sie halten das, was Sie auf dieser Seite sehen, für geschmacklos? Nicht doch. Fragen Sie Ihre Kinder, die wissen es besser: Das ist cool. Beziehungsweise: süß. Es ist das „Hello Kitty“-Kätzchen aus Japan, abgebildet auf zahllosen Radiergummis, Rucksäcken und Haarklammern – und jetzt auch schon dreißig Jahre alt

VON JENNI ZYLKA

Kawaii!, sagt der Japaner, wenn er etwas niedlich findet. Er darf es auch sagen, wenn er etwas cool findet, was daran liegt, dass Niedliches in der japanischen Populärkultur in einigen Fällen bis in einen Coolnessrang aufgestiegen ist.

Die weiße Cartoonkatze mit dem riesigen, mundlosen Gesicht, dem runden Nasenknopf und der Haarschleife am linken Ohr ist so ein kawaii-Fall: Hello Kitty, eines der bekanntesten japanischen Exportprodukte, wird 30 Jahre alt. Mit über 50.000 verschiedenen Items mit Kätzchenlogo hat der Tokioter Hersteller Sanrio Japan und den Rest der Welt bereits überschwemmt, darunter lebenswichtige Dinge wie rosa Haargummis, XS-T-Shirts, zierliche Kulis mit rosa Tinte, Spaßgitarren, Frühstücksdosen, Schifferklaviere und kleine Plastikportmonees, in die höchstens drei Yens passen. Oder drei Euros: Zum 30. Geburtstag darf die Cartoonmuschi jetzt sogar für die Europäische Gemeinschaft und ihre Währung werben, in blau-gelbem statt rot-rosa Outfit und mit dem Eurozeichen auf der Brust. Und ab Herbst werden 110 berühmte internationale KünstlerInnen sich der Herausforderung stellen und das Kätzchen künstlerisch interpretieren; die Ausstellung geht im nächsten Jahr auf Tour.

Hello Kitty hat, das ist in Deutschland weniger bekannt, seit einigen Jahren auch noch ein paar süße Freunde. Unter anderem einen schwarzen Kater mit dem politisch nicht ganz so korrekten Namen „Chococat“ (der angeblich von seiner schokoladenfarbenen Nase herrührt), den stubenreinen, weil elektronischen Hund „Robowan“ und einen Bärenjungen namens Hoshinowaguma, den seine Freunde Hoshikuma nennen, das bedeutet „Sternenbär“, denn der Bär mit den komischen gelben Sternenbändern um die Ohren bereist am liebsten fremde Planeten. Kittys ältester Freund ist der immerhin schon seit 15 Jahren an ihrer Seite quiekende vegetarische Hund Pochacco, der aussieht wie ein mundgemalter Snoopy als Welpe.

Auf einer der 1.400.000 Webseiten mit Hello-Kitty-Infos findet sich eine Zeitlinie aus kleinen Blümchen, auf der man die Entwicklung des Designs der Katze in den letzten 30 Jahren anklicken kann. Nur hat es sich überhaupt nicht verändert: Das katzenartige Kindchenschema guckte vom ersten Tag an schon einfältig und stumm aus seinen Knopfaugen in die Gegend. Yuko Yamaguchi ist seit über 20 Jahren Chefdesignerin bei Hello Kitty, und sie behauptet, dass der fehlende Mund, der bei einer Katze eigentlich Maul heißen müsste, der Grund für Kittys Erfolg sei: „Die Käufer können so ihre eigenen Gefühle auf die Katze projizieren.“ Eine gruselige Vorstellung, wenn man bedenkt, dass das Alter des typischen Hello-Kitty-Fans dem der Katze selbst entspricht, denn es sind nicht etwa die kleinen Mädchen, die das schnuckelige Kätzchen mögen, sondern die vor allem geistig anscheinend recht jung gebliebenen Frauen. Sowohl in Japan und anderen asiatischen Ländern als auch in Europa und den USA wird die Mieze größtenteils von Erwachsenen getragen. Kleidung mit dem starren Kätzchenblick gibt es in Designerläden neben jungen Wilden, und auch das von den Medien hochgeschriebene und -gefilmte It-Girl Nicky Hilton trägt die Katze.

Die originalen Hello-Kitty-Zeichentrickfilme, in denen Kitty und ihre Clique lahme kleine Abenteuer in einer bunten Kindergartenwelt voller Blumen und merkwürdiger Elektromusik erleben, waren in Deutschland noch nie von Bedeutung. Das Merchandiseprodukt selbst hat seine Biografie längst überholt. Auch dass in Europa der Manga- und Anime-Hintergrund fehlt, stört nicht in der Erfolgsgeschichte. In Japan, wo die Manga-Comics eine noch stärkere Bedeutung als etwa die Cartoons in den USA haben, hat die kindchenschematische Darstellung der Helden, auch der schrecklichen, eine lange Tradition: Auf diese Art kann man sogar das Böse zeigen, dem Grausamen ein niedliches Gesicht geben – kawaii! Mangas und Anime-Filme sind dort oft vielschichtige, aber auch brutale Geschichten, die manchmal aus der japanischen Sagen- und Mythenwelt stammen. In Deutschland waren die typischen Manga-Gesichter mit den übergroßen Augen, in denen oft ein Tränenflüssigkeitsbläschen zitterte, den kleinen Näschen und Mündchen vor allem durch die aus japanischer Produktion stammenden Kinderzeichentrickserien „Heidi“ oder „Captain Future“ bekannt. Seit einigen Jahren gibt es jedoch auch in Europa Manga-Fans und dementsprechende Produkte.

Hello Kitty ist natürlich, trotz ähnlichem Stammbaum, nichts für einen Manga-Fan. Die sprach- und ausdruckslose Mieze ist das Über-Girlie, ein infantiles Accessoire für die Frau, die im Innern und damit auch nach außen Kind sein will und darf oder auch nur kindisch sein will und darf; ein Spiel mit dem Titel „Kindfrau“, das eigentlich längst ausgespielt sein sollte, aber seit den Modezeiten der bunten Haarklemmchen, der Frosch- und Koalabärrucksäcke, der Schweinchen-Handytragetaschen, der Spaghettiträger-Tops und der Hartplastikschnuller (der Hit vor ein paar Jahren!) für Erwachsene leider nicht mehr totzukriegen ist. Ein Lebewesen in einer niedlichen, rosa Barbie-Kitty-Welt.

„Kawaii!“ hieß vor ein paar Jahren die Installation einer jungen japanischen Künstlerin, die ein Barbie-Ankleide-Plastikzimmer auf Menschengröße aufgeblasen hat, sodass man sich als staunende Besucherin in einem rosa Prinzessinnenhochzeitstraum voller an die Wände gemalter Stiefel, Taschen und Ketten sah. Hochzeit gab es bei Kitty auch schon: Anfang der 90er bekam die Katze ihren Freund Daniel zur Seite gestellt, einen faden, weißen, maullosen (und somit bestimmt auch kussunwilligen) Kater im blauen Anzug. So konnte Sanrio die Kitty-Produkt-Manie in die Felder Hochzeit und Mutterschaft ausweiten, und Chefdesignerin Yamaguchi erklärt den Zeitpunkt damit, dass es in den Neunzigern für berühmte Frauen normal war, mit ihrer Partnerschaft in die Öffentlichkeit zu gehen, ganz anders als in den Achtzigern, wo man versuchte, das Privatleben zu verstecken. Mit noch weniger Sexappeal ausgestattet als Barbies Ken, blieb Daniel aber weit weniger erfolgreich als die anderen lustigen Kitty-Freunde.

Das rosa Kitty-Imperium könnte beim momentanen Kurs lässig noch weitere 30 Jahre überstehen. Wahrscheinlich haben sich die jetzt schon erwachsenen Kitty-Fans dann zu gestandenen Kitty-Omas entwickelt, mit rosa Spängchen im schütteren, weißen Haar. Kawaii!