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Archiv-Artikel

Stühlerücken in Tokio

Japans Ministerpräsident Koizumi stärkt Reformer im Kabinett, dafür ignoriert er die traditionellen Kräfte

BERLIN taz ■ Nachdem Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi am Samstag von der konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) als Vorsitzender und damit indirekt auch als Regierungschef bestätigt worden war, hat er gestern sein 17-köpfiges Kabinett umgebildet. Ab November erwarten Japans Medien jetzt vorgezogene Neuwahlen.

Koizumi wollte mit der Kabinettsumbildung die Reformkräfte in seiner Mannschaft stärken und eine Verjüngung erreichen. So löste der bisherige Minister für industrielle Wiederbelebung, Sadakazu Tanigaki (58), den 81-jährigen und gesundheitlich angeschlagenen Masajuro Shiokawa als Finanzminister ab. Tanigaki kündigte aber bereits gestern an, dass Japan an seiner bisherigen Wechselkurspolitik festhalten wolle. Erst am Wochenende hatten die G-7-Staaten indirekt den künstlich niedrig gehaltenen Yen-Kurs kritisiert.

Parteinterne Gegner, die sich dem traditionellen LDP-Klientelismus verpflichtet fühlen, hatten gehofft, Koizumi werde ihre Unterstützung bei seiner Wiederwahl mit der Auswechslung seines einflussreichen Doppelministers für Wirtschaftspolitik und Finanzdienstleistungen, Heizo Takenaka, honorieren und den mächtigen Fraktionen mehr Einfluss einräumen. Doch Koizumi beließ den Minister, der kein Parlamentsmandat hat, im Amt. Wegen seiner Reformen im Banksektor wird dieser von Öknomen gelobt und von den traditionellen LDP-Kräften kritisiert. Koizumi zeigte jetzt, dass er weiter unabhängig von der LDP-Machtstruktur agieren will. Auch machte er an dieser vorbei den erst 49 Jahre alten Shino Abe zum Generalsekretär. Ausschlaggebend hierfür dürfte dessen Beliebtheit in der Bevölkerung sein, die dieser mit einer harten Haltung gegenüber Nordkorea erreichte. Als Überraschung gilt auch, dass Koizumi die bisherige Außenministerin Yoriko Kwaguchi, die auch kein Parlamentsmandat hat, im Amt beließ.

Viele LDP-Politiker, die Koizumi einst als Notlösung ins Amt gewählt hatten, mussten inzwischen einsehen, dass ihre Partei nur mit dem eigenwilligen 61-Jährigen und nicht gegen ihn eine Chance auf den Verbleib an der Macht hat. Zwar ist Koizumi nicht mehr so beliebt wie zu seiner Anfangszeit, als er mit seinem für japanische Verhältnisse ungewöhnlichen Auftreten unter Jugendlichen regelrechten Kultstatus genoss. Doch mit seiner in Umfragen attestierten Beliebtheit von noch 50 Prozent überragt er innerparteiliche Herausforderer um Längen. Zuletzt halfen ihm auch noch günstige Konjunkturdaten. SVEN HANSEN