: Zu viel Wasserkraft ist des Aales Tod
Die eigentlich umweltfreundlichen Kraftwerke sind eine tödliche Gefahr für die Aale: Tausendfach werden die Fische bei ihrem Zug die Flüsse hinab von Turbinen zerhackt oder am Gitter erdrückt. Doch Schutzmaßnahmen senken die Kraftwerksleistung
von HEIDE PLATEN
Manches Tiersterben vollzieht sich unbemerkt. Wer hat schon ein Herz für Aale? Die glitschigen Viecher sind gar nicht kuschelig und seit dem Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass in Verruf geraten, bloß eklige Aasfresser zu sein, igitt. Aale sind genügsam, keine Zeigertiere für intakte Natur wie Flusskrebs und Bachforelle. Fischbiologen warnen dennoch vor dem Aussterben des Aals und schildern ein Szenario des Massensterbens: Aale zerfetzt, zerrissen von den Turbinen der eigentlich umweltfreundlichen, von Naturschutzverbänden geförderten und staatlich subventionierten Energiequelle Wasserkraft.
Eine Untersuchung an der Mosel-Staustufe Fankel in Rheinland-Pfalz ergab 1999 eine Schädigung von 13.200 Tieren, 23 Prozent des Wanderzuges der Aale. Die Jungaale kommen zwar mittlerweile vielerorts über Fischtreppen gut flussaufwärts, müssen aber als ausgewachsene Tiere zurück flussabwärts wandern in ihr Laichgebiet in der Sargassosee im Atlantik. Daran scheitern sie. Sie verfehlen die für sie angelegten Wege, weil sie sich an der Hauptströmung orientieren und prompt auf die tödlichen Turbinen zuhalten.
Der Aal ist als Opfer prädestiniert. Sein schlanker, langer Körper bietet besonders viel Angriffsfläche für die Rechen der Anlagen, die Äste und Unrat auffangen sollen. Der Wasserdruck presst die Tiere an die Gitter, sie sterben dort vor Erschöpfung, werden von den Reinigungsanlagen erwischt oder, wenn sie es durch die Gitter schaffen, von den Turbinen zerhackt. Bei Davongekommenen stellten Fischbiologen geplatzte Schwimmblasen, innere Blutungen, Verletzungen an Flossen und Schuppen fest.
Was Naturfreunden vielleicht bisher nicht aufgefallen oder schnuppe ist, sollte wenigstens ökonomisches Interesse finden: Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft ermittelte 2002 einen Verlust an nur einer untersuchten Anlage von 65.000 Kilogramm Fisch jährlich: „Unter der Annahme eines Preises von 7,70 Euro/kg resultiert ein jährlicher fischereiwirtschaftlicher Schaden von 500.000 Euro.“ Am bayerischen Main sollen es 150.000 Euro sein und so weiter und so fort. Das summiert sich.
Die Fischereigesetze verpflichten die Betreiber, das Fischsterben auf eigene Kosten zu verhindern oder Schadensersatz zu leisten. Das aber hilft den Fischen ebenso wenig wie das Tierschutzgesetz. Ein Grundsatzurteil legt bis heute unwidersprochen fest, dass die Betreiber von Wasserkraftwerken nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, weil sie nicht vorsätzlich handeln. So streiten seit Jahren die Fischerei-Referenten der Länder mit den Betreibern vor allem kleiner Wasserkraftanlagen um die Durchsetzung der Vorschriften.
Wie hart der Widerstand ist, illustriert ein Artikel in der Zeitschrift wassertriebwerk vom Dezember 2002: Darin wettert ein Autor gegen eine Umrüstung der Anlagen im Regierungsbezirk Arnsberg, wo die Lachse wiederangesiedelt werden sollen: „Genauso und mit gleicher Berechtigung könnte morgen ein Wild-Renaturierungsprogramm kreiert werden, das zur Rückführung/Wiedereinführung von Wolf, Bär, Luchs und Wisent dazu verpflichtet, die landwirtschaftliche Nutzung aufzugeben, Dörfer abzureißen oder am besten auch gleich den Menschen auszurotten.“ Der Autor geißelt die „Hexenverfolgung“ durch die Behörden.
Abhilfe wäre möglich. Experten kennen eine ganze Reihe von Verbesserungen: Verringerung der Stabdicke der Rechen, niedrigere Fließgeschwindigkeit bei der Wasserentnahme, Durchlässe vor den Rechen als Fluchtwege. Die Energiewirtschaft sieht das alles nicht so gern, denn es senkt die Leistung bis zur Unrentabilität – und kostet also Geld.
Ein Ausweg könnte ein Modellversuch der hessischen Landesregierung bieten: In Wahnhausen an der Fulda testet sie ein elektronisches Messgerät, das die relativ gut eingrenzbare Zugzeit der Aale ermittelt und per E-Mail an den Betreiber meldet. Der fährt das Kraftwerk gezielt für eine Weile herunter, bis die Fische sich in Sicherheit gebracht haben. Das Gerät, das auch als EU-Forschungsprojekt gefördert wird, arbeitet mit Aalen, denen Miniatursender unter die Haut implantiert wurden.