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Archiv-Artikel

peter ahrens über Provinz „Auf Ute. Eins geht noch“

Trotz Haider, Schüssel & Co. ist in Wien alles einfach toll. Vor allem: der Wein, die Zigaretten und Frau Bock

In Wien ist eh alles schöner. Der Most ist röter als anderswo, die Zigaretten heißen Flirt, und die Klosprüche auf der Männertoilette lesen sich so: „Ist es vielleicht ein Zufall, dass sich das gespiegelte Leben wie Nebel schreibt?“ Und vor allem: In Wien wird anders getrunken. Politisch bewusst.

Als ich das erste Mal mit dem Zug von Hamburg nach Wien fuhr, traf ich in der Bahnhofsbuchhandlung Stilke kurz vor der Abfahrt Hellmuth Karasek, der sich gerade ein Buch gekauft hatte. Neugierig, über welchen Buchgeschmack ein leibhaftiger Literaturpapst verfügt, schaute ich anschließend auf den Stapel, von dem er sich das frisch erworbene Werk heruntergenommen hatte. Das Buch hieß: „Das Magazin“, der Autor ein gewisser Hellmuth Karasek. Nun gibt es sicherlich weniger aufwändige Methoden für einen Autor, die eigenen Schriftstücke auf die Bestsellerlisten zu hieven: das Anbändeln mit einem der gängigen Promi-Luder oder die Kandidatur für das Amt das Bundespräsidenten. Aber die ganze eigene Auflage aufkaufen, wenn es schon sonst niemand tut – so geht es natürlich auch. Jedenfalls lehrte mich diese Episode: Nach Wien zu fahren ist etwas ganz Spezielles.

In Wien habe ich einmal im Kaffeehaus Eiles am Tisch neben Klaus Maria Brandauer gesessen, der mit großer Geste einer rehäugigen Schauspielschülerin die Kunst des Drehbuchschreibens zu erläutern trachtete, als gelte es, dem Kellner den Fiesco zu Genua vorzuspielen. Nur meiner damaligen Begleiterin zuliebe, die ob meines unvermittelten hektischen Groupie-Gehabes lediglich pikiert anmerkte, dass Herr Brandauer doch füllig zu werden beginnt, habe ich es damals verabsäumt, um ein Autogramm zu bitten. Seitdem hocke ich bei jedem Wien-Aufenthalt nach Möglichkeit die Vormittage hindurch im Café Eiles, rühre erwartungsvoll in dem, was der Wiener einen Einspänner nennt – aber der Meister erscheint mir nicht mehr.

Doch ich möchte die Geschichte der Ute Bock erzählen, und bei der geht es nicht um Kaffee, sondern um Bier. Ute Bock war eine einfache Wienerin, und das ist noch gar nicht lange her. Irgendwann verstand sie es nicht mehr, dass die Regierung, bei der irgendwie auch immer ein Herr Haider mitmischte, so grantig mit den Menschen umging, die aus Bürgerkriegsgebieten in Afrika, Asien oder Lateinamerika nach Österreich geflohen waren. Und weil der Herr Haider und der Herr Schüssel und ihre Regierungskumpane keinen Finger für die Flüchtlinge krumm machten, half sie ihnen halt und besorgte ihnen Wohnraum, wo es nur ging. Dabei machte die Frau Bock allerdings so viel Schulden, dass ihr das Wasser selbst bis zum Halse stand. Und jetzt kommt der Wiener ins Spiel, der für solche hinterwäldlerischen Gestalten wie den Herrn Haider aus dem oberösterreichischen Bad Goisern eh nur Verachtung übrig hat. Die Wiener begannen, Frau Bock zu helfen, und in diesem langen, heißen Sommer hat das die ganze Stadt angesteckt.

Es entstand „Bock auf Kultur“ – eine Veranstaltungsreihe, bei der das versammelte intellektuelle Wien von der Jellinek bis zum Wolf Haas Kultur zum Besten gab und den Erlös Ute Bock weiterreichte. Und es entstand „Bock auf Bier“. Die Kneipen der Stadt machten mit, und von jedem bezahlten Getränk, das durstige Kehlen hinunterfloss, ging ein Teil an Ute Bock. „Weil die Regierung nichts tut, müssen wir trinken“, hieß die Parole. Inzwischen gibt es Ute-Bock-T-Shirts mit der Aufschrift „Liebe geht durch die Leber“ oder „Auf Ute. Eines geht noch“. Aktionen, die man in Deutschland gemeinhin nur dann kennt, wenn es gilt, einen drittklassigen Fußballverein vor dem Totalabsturz zu retten. In Wien dagegen ist das Biertrinken zum revolutionären Akt geworden. Daran hab ich mich am vergangenen Wochenende gern und ausführlich beteiligt.

Als ich mich am Sonntagabend schweren Kopfes und Herzens wieder in den Zug gen Heimat gesetzt habe, hatte ich den ICE ab München Richtung Norden gemein mit Hessen und Hannoveranern. Ihre T-Shirts hatten das Aussehen bajuwarischer Trachten. Manche trugen Lederhosen, ihnen baumelten Lebkuchenherzen mit der Aufschrift „Oans, zwoa, gsuffa“ um den Hals, und sie sangen „Zebrastreifen, weiß und blau“. Während sie ihr Schöfferhofer Weizen in sich hineinkippten, sprach aus dem Zugradio Edmund Stoiber. Es war Bier in der Luft, aber Ute Bock war ganz weit weg.

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