: 45 Schüler im Chemiekurs
Zu wenig Lehrer, große Klassen, Turbo-Abitur an Gesamtschulen: Niedersachsens Kultusministerin Heister-Neumann steht unter Beschuss. Auch CDU und FDP sind nicht ohne Kritik und gaben der Ministerin „Arbeitsaufträge“ auf
„Sie kennt sich nicht aus, eigentlich leitet Herr Wulff das Kultusministerium“, sagt Regina de Rose. Die Vorsitzende des Braunschweiger Stadtelternrats hat sieben Kinder und einige Kultusminister erlebt. Allerdings: So viel „Flickwerk“ wie unter der amtierenden Ressortchefin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) gab es noch nie in 25 Mutterjahren. „Es brodelt richtig“, sagt de Rose. Heister-Neumann steht von Eltern, Lehrern, Rektoren und Opposition unter Beschuss. Die Braunschweiger Elternvertreter haben Eltern der Gymnasiasten aufgefordert, Protestbriefe an den Ministerpräsident zu schreiben. 6.000 sollen es werden.
„Klassengrößen von 32 oder mehr Schülern sind nicht nur für mein Kind sondern auch für die Lehrerinnen und Lehrer eine Zumutung“, heißt es in dem Brief. Auch Unterrichtsversorgung und Zustand der Schulen werden kritisiert. Zu wenig Lehrer, zu große Klassen – und jetzt noch der Plan Heister-Neumanns, an den Integrierten Gesamtschulen (IGS) das Turbo-Abitur nach acht Jahren einzuführen.
Das bringt viele in Rage. Die IGS in Hannover Mühlenberg lud Heister-Neumann am Montag sogar aus: Statt Ministerinnen-Besuch ließen Schüler, Lehrer und Eltern 1.000 schwarze Luftballons mit Protestkärtchen steigen. „Die Landesregierung ist dabei, die Gesamtschule sturmreif zu schießen“, sagt Matthias Kern vom Landeselternrat. Eine Unterstellung mit Wahrheitsgehalt: „Das ist eine Kampfansage, um unseren Leuten zu zeigen, dass die gute alte CDU-Schulpolitik noch etwas taugt“, sagt ein Koalitionspolitiker.
Eine weitere Front öffnet sich bei der Unterrichtsversorgung: Vor allem in Mangelfächern wie Mathe, Latein oder Physik fehlen Lehrer, neue Pädagogen gibt der Markt angeblich nicht her. Heister-Neumann will mit wenig Bordmitteln die Lehrerlücke schließen. Sie spricht von einem „Maßnahmenbündel“, das Pensionäre, Referendare und Quereinsteiger aktiviert. „Notpaket“, sagen Kritiker wie Helga Ackermann, die Vorsitzende des Schulleitungsverbands.
De Rose hat „genug von Chemiekursen mit 45 Schülern“. Oder vom so genannten „epochalem Unterricht“, in dem wegen Lehrermangel erst ein halbes Jahr Physik, dann Chemie unterrichtet wird – anstatt parallel. „Meine Tochter“, sagt de Rose, „hat in fünf Jahren keine einzige Stunde Musikunterricht an der Realschule gehabt“. Im Juni plant sie eine Bildungsdemonstration in Braunschweig.
Auch CDU und FDP sind nicht ohne Kritik. Gestern gaben die Fraktionäre Heister-Neumann nach heftiger Schuldebatte zwei „Arbeitsaufträge“ auf den Weg: Ihr Plan, Haupt- und Realschüler künftig verpflichtend zwei Tage pro Woche zum Praxisunterricht an die Berufsschulen zu schicken, wurde zur „Kann“-Regelung aufgeweicht. Ebenso verhinderten die Parlamentarier, dass die so genannten „vollen Halbtagsschulen“, die eine bessere Ausstattung als die „verlässlichen Grundschulen“ haben, bereits dieses Jahr Stunden abgeben müssen. Insgesamt geht es um 90 Vollzeitlehrerstellen. Den Rest des Schulkonzepts von Heister-Neumann wollen die Koalitionäre nächste Woche beschließen. „Nun herrscht Klarheit“, sagt ein Abgeordneter. Und: „Wir werden das gemeinsam durchziehen“. KAI SCHÖNEBERG