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Archiv-Artikel

Arbeit schützt vor Armut nicht

Arbeitnehmerkammer legt „Armutsbericht“ vor, weil sich der Senat vor der Aufgabe drückt: Zwölf Prozent der Sozialhilfeempfänger haben einen Job – aber einen der „Billigjobs“. 45 Prozent sind Kinder und alleinerziehende Frauen

Sozialhilfe: 12 Prozent sind Alleinerziehende, 30 Prozent Kinder und Jugendliche

Bremen taz ■ In einer auf Erfolg ausgerichteten Gesellschaft werden Sozialhilfeempfänger als „Versager“ stigmatisiert, sagt der Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Hans Endl. Dagegen will die Kammer etwas tun. Dass es auch ganz andere Gründe von Armut gibt, geht aus dem „Armutsbericht“ hervor, den die Kammer in diesem Jahr zum zweiten Mal vorlegt.

Die Berichterstattung über die Armut bei Erwerbstätigen und Erwerbslosen in Bremen gehöre zu den Aufgaben der Kammer, meinte Endl: „Wir haben die Kosenquenzen daraus gezogen, dass der Senat sagt: ‚Wir machen das nicht.‘“ Und warum macht es der Senat nicht? „Der Senat hat kein Interesse daran“, erklärt Peter Beier von der Kammer, „da heißt es doch immer: ‚Wir denken positiv.‘“

Was die Untersuchung an die Öffentlichkeit bringt, ist in der Tat wenig positiv für die Stadt: Mehr als 46.000 Menschen in Bremen haben zum Stichtag 31.12.2001 Sozialhilfe bezogen, auf 1.000 Bremer kommen also 87. Ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche, 13 Prozent sind Alleinerziehende. Die Zahl der Alten, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, liegt bisher unter zehn Prozent, steigt aber deutlich.

Erstaunlich: 12 Prozent der Bezieher von Sozialhilfe haben eigentlich einen Job, sind also „Erwerbstätige“ – verdienen aber so wenig, dass sie Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch nehmen müssen. Das liegt oft daran, dass es sich um Teilzeitjobs handelt, die für den Lebensunterhalt nicht ausreichen. Aber immerhin knapp die Hälfte dieser Beschäftigten an der Armutsgrenze haben einen Vollzeit-Job.

Zwischen 2001 und 2002 sind die Zahlen der Sozialhilfeempfänger etwas zurückgegangen. Dies sei eigentlich eine gute Nachricht, heißt es in dem Armutsbericht. Aus Gesprächen mit den Sozialhilfezentren sei allerdings bekannt, dass die Vorgabe, die Fallzahlen zu senken, auch mit schlichtem Druck umgesetzt wurde. Menschen seien aus dem Leistungsbezug „herausgedrängt“ worden, in der Statistik schlage sich ein „unechter Rückgang der Zahlen“ nieder.

Nach den EU-weit gültigen Definitionen gilt als „arm“, wer über weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen kann. Die „Armutsschwelle“ liegt für eine alleinstehende Person bei 692 Euro monatlich, das würde bei einem Vollzeit-Job einem Stundenlohn von 4,15 Euro entsprechen. Wenn eine Arbeitskraft eine vierköpfige Familie zu ernähren hat, müsste der Stundenlohn schon bei 11,20 Euro liegen, um an die Armutsgrenze zu kommen.

Eine andere Erkenntnis aus der Statistik: Die Hälfte der Sozialhilfe-Bezieher sind weniger als 27 Jahre alt, „starten also unter ungünstigen Voraussetzungen ins Leben“. Der Altersdurchschnitt liegt insbesondere so niedrig, weil es viele alleinerziehende Frauen (13 Prozent der Hilfe-Bezieher) und Kinder gibt.

Etwa 30 Prozent der Sozialhilfe-Bezieher in Bremen sind ausländischer Nationalität, das ist jeder fünfte Ausländer in Bremen. In dieser Gruppe der Statistik gibt es besonders viele Kinder, deren Lebensunterhalt über die Sozialhilfe bestritten werden muss. Wenn man die Fälle, in denen Menschen mit geringem Einkommen Anspruch auf Wohngeld haben, hinzurechnet, dann kommt man auf eine Zahl von etwa 60.000 Hilfebedürftigen in einer Stadt mit 540.000 Einwohnern.

Der Abstand zwischen dem Durchschnittseinkommen und den Armen der Gesellschaft hat sich dabei vergrößert: Bekam ein vierköpfiger Haushalt 1988 noch knapp die Hälfte des Durchschnittseinkommens über die Sozialhilfe, so sind es heute nur noch 40 Prozent.

Wenn der „Faktor Arbeit billiger“ werden soll, dann darf das nicht auf Kosten des Arbeitslohnes gehen, folgert die Kammer aus ihrem Armutsbericht. Wer jetzt den Niedriglohn-Sektor ausweiten wolle, vergrößere nur die Armut unter Erwerbstätigen. Wirklich helfen würde nur die Festlegung von Mindestlöhnen durch die Europäische Union.

Peter Beier von der Kammer verwies darauf, dass auch bei Investitionsförderung darauf geachtet werden sollte, ob das erwartete Lohnniveau aus der Armutsfalle herausführe. Als Negativ-Beispiel nannte er den Space-Park, wo auch Erwerbslose bei den Sozialzentren angeworben wurden. Beier: „Alle diese Jobs liegen in der Armutszone.“

Klaus Wolschner