: Heimat ist, wo die Zitate wuchern
Ein Tourist im Land der Vorfahren: Robert Rodriguez hat seine „Mariachi“-Trilogie mit „Irgendwann in Mexiko“ zu Ende gebracht. Johnny Depp trägt darin die Sonnenbrille bis zum bitteren Ende: ein Cool McCool von einem Spezialagenten. Von Antonio Banderas hingegen bleibt nur noch Folk-Travestie
von ANDREAS BUSCHE
Der Gipfel des postmodern genannten Erzählkinos ist erreicht, wenn sich die ästhetische Ortlosigkeit und die strategische Unverortbarkeit des Autors in den Bildern von dessen Entfremdung doppeln. Der Erzähler wird zum Touristen in seiner eigenen Erzählung. Im Unterschied zum Rucksacktouristen aber, der mit Hilfe von „Lonely Planet“-Führern und gleichgesinnten Weltenbummlern die Fremde erschließt, beruht das postmoderne Mapping einer aus Zitaten zusammengestückelten Topografie ganz auf der Selbstgewissheit des Autors. Je fremder er seinem Topos ist, desto heimischer fühlt sich der postmoderne Autor zwischen seinen Versatzstücken.
Nehmen wir also an, dass Robert Rodriguez tatsächlich – und viele Filmkritiker scheinen das zu glauben – der neben Quentin Tarantino postmoderne Filmemacher Hollywoods schlechthin ist, dann hat er mit dem letzten Teil seiner „Mariachi“-Trilogie „Irgendwann in Mexiko“ ein Mexiko auf die Kinolandkarte gebracht, das zwischen „Viva Zapata“ und „Ready for the Mexecution“, dem Slogan der fake-mexikanischen Deathmetal-Band Brujeria, keinen Unterschied macht. Rodriguez selbst ist mit „Irgendwann in Mexiko“ nicht nur zum Touristen seiner Geschichte geworden, sondern gleich noch zum Touristen im Land seiner eigenen Vorfahren. Das Mexiko-Bild Rodriguez’ ist ein Pastiche aus Bildern von mindestens einem halben Dutzend Gringos, die das Land lange vor ihm kinematografisch kolonialisiert haben; Sergio Leone und Sam Peckinpah seien hier nur stellvertretend erwähnt. Selbst Charlton Hestons grotesker Mexikanisierung aus „Im Zeichen des Bösen“ wird Referenz erwiesen – und vergessen wir nicht, dass auch Rod Steiger in Leones „Todesmelodie“ einen mexikanischen Banditen spielte. Es ist nur folgerichtig, wenn Rodriguez dieses halluzinatorische Mexiko mit einer ganz besonderen Spezies von Touristen konterkariert: dem CIA-Agenten.
Der CIA-Agent kann, wo er auch auftaucht, immer nur Tourist sein. In „Irgendwann in Mexiko“ beißt er sich zunächst an den Eigenarten seiner Gastgeber die Zähne aus. Aber er weiß, dass dieser an seiner Ehre fast genauso angreifbar ist wie ein Korse. „Are you a Mexican“, flüstert Johnny Depp als CIA-Faktotum Sands seinem einheimischen Informanten ins Ohr, „or a MexiCAN’T?“ (Ich frage mich, wie der deutsche Verleih das übersetzen will). „Irgendwann in Mexiko“ zeigt ganz ungeniert, wie das Touristikunternehmen CIA heutzutage an Fernreisezielorten operiert: intervenieren und platt machen. Search and destroy. Die ganze Welt ist Grenada. Und hat nicht gerade erst George Clooney mit „Confessions of a Dangerous Mind“ dem amerikanischen Geheimdienst eine Mentalität zwischen Unterhaltungstourismus und Spaßagenten-Gameshow bescheinigt?
Bei Rodriguez trifft der Mythos auf seine Nemesis. Banderas’ namenloser Rächer „El Mariachi“ – von Freund und Feind kurz „El“ genannt (Cheech Marin: „El“ – wie in „Der“!) – wirkt mit seinem schwarz gewandeten Latin-Lover-Machismo nur noch wie Folk-Travestie. Johnny Depps CIA-Tourist ist hier die weitaus plausiblere Gestalt und drängt Banderas rücksichtslos in die Rolle der abgehalfterten Legende. Agent Sands ist auf unkorrumpierbarer Arschtritt-Safari: permanent am Manipulieren und „Connecten“ (die Handys), den kulinarischen Vorzügen seines Gastlandes nie abgeneigt (mexikanisches Schweinefleisch), auf jede unwahrscheinliche Situation vorbereitet (der dritte Arm) und ausgestattet mit einer Garderobe, die jeden fettleibigen Ami-Touristen für die hinterletzte Event-Gastronomie-Spelunke qualifizieren würde. Depps CIA-Shirt zeichnet ihn als ganz großen Stilisten aus. Nie die Übersicht verlieren ist sein professionelles Credo. „Manchmal braucht man einfach eine kleine Revolution, um das System zu reinigen.“ So was nennt man Sendungsbewusstsein.
Sands ist nach Mexiko gekommen, um „El Mariachi“ für eine geheime Mission zu gewinnen. Der Drogenbaron Barillo (Willem Dafoe als Charlton Heston) versucht mit Hilfe von „Els“ altem Widersacher General Marquez den mexikanischen Präsidenten zu stürzen. Sands sucht vor Ort nach Verbündeten, und er weiß, dass der Mariachi noch eine Rechnung mit Marquez offen hat. Der nämlich hat, wie man aus den permanent Verwirrung stiftenden Rückblenden erfährt, „Els“ Braut Carolina auf dem Gewissen; weswegen der verhinderte Gitarrero auch immer etwas betreten dreinschaut. Salma Hayek spukt in „Irgendwann in Mexiko“ nur noch als Gespenst der Vergangenheit herum, hat aber zwei furiose Auftritte: als zürnende Messerwerferin und später an einer Hotelwand als feurige Kletter-Liesl.
Rodriguez’ „Mariachi“-Reihe hat sich mit „Irgendwann in Mexiko“ selbst ad absurdum geführt. Mit dem Original „El Mariachi“ (1992) hat der dritte Teil im Prinzip nichts mehr zu tun. Das belegen schon die Produktionsinterna. Das Sequel „Desperado“ von 1995, damals offiziell als Remake angekündigt, firmierte zunächst unter dem Arbeitstitel „El Mariachi 2“. Bei „Irgendwann in Mexiko“ war der „Mariachi“ bereits ganz aus dem Arbeitstitel verschwunden; der lautete schlicht „Desperado 2“. Die Schwundstufen seiner eigenen Touristisierung zeigen sich besonders deutlich in der Entwicklung von Rodriguez’ Bildern. „El Mariachi“ war Anfang der Neunziger als kleine dreckige Exploitation-Produktion für den spanischsprachigen US-Markt gedreht worden. Die Betonung liegt hier auf klein und dreckig. Der Film lebte von seinem herben Lokalkolorit. Der ging dem Indie-Hybriden „Desperado“, obwohl mit einem lächerlich niedrigen Budget von drei Millionen Dollar gedreht, dann schon ab. Dass Rodriguez den Abschluss seiner Trilogie als am Hollywood-Blockbusterkino orientierten, sinntötenden Comic-Film angelegt hat, ist nur konsequent. Dass er die vorangegangenen Teile sowie die Filmgeschichte dafür schamlos ausschlachtet, ebenfalls.
Nichts wird in „Irgendwann in Mexiko“ noch irgendwie ernst genommen. Die Titelcredits kündigen einen „Robert Rodriguez Flic“ an; nicht „written and directed“, sondern „shot, chopped and scored“. Die Ein-Mann-Boygroup Enrique Iglesias holt am Ende den Flammenwerfer aus dem Gitarrenkoffer. Und Johnny Depp, dieser Cool McCool von einem Spezialagenten, wandelt zum Showdown mit blutigen Augenhöhlen als Marilyn-Manson-Parodie durch die Wirren seiner eigenen Palastrevolution.
Mit „Irgendwann in Mexiko“ hat sich ein Wertewandel vollzogen: vom glutäugigen Volkshelden zum augenlosen Gothic-Agenten. Rodriguez und Depp planen bereits einen Film über den ersten CIA-Superhelden. Endlich wieder eine Geschichte mit Potenzial.
„Irgendwann in Mexiko“. Regie: Robert Rodriguez. Mit Johnny Depp, Salma Hayek, Antonio Banderas, William Dafoe u. a. USA 2003, 97 Min.