Gesundheit wird für die Koalition teuer

Rot-grüne Abweichler wollen bei der Abstimmung am Freitag bei ihrem „Nein“ zur Gesundheitsreform bleiben – oder Zugeständnisse erhalten

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Es sieht nicht so aus, als wenn der Kanzler seine rot-grüne Mehrheit bei der Bundestagsabstimmung zur Gesundheitsreform morgen bekäme. Das Nein der Abweichler im SPD-Lager – vor allem von Sigrid Skarpelis-Sperk, Ottmar Schreiner, Horst Schmidbauer, Rüdiger Veit und Klaus Barthel – stand gestern zu taz-Redaktionsschluss noch wie fest gemauert. Rot-Grün hat im Bundestag 306 der 603 Sitze.

Gestern Abend und heute jedoch waren noch Gespräche angesetzt, in denen SPD-Fraktionschef Franz Müntefering, aber auch der Vizefraktionschef und Kopf der „Parlamentarischen Linken“ Michael Müller die Quertreiber überzeugen wollten.

Zwar ist die Reform zwischen Regierung und Opposition ausgehandelt und bekommt morgen sowieso eine Mehrheit im Parlament. Die Regierung befürchtet jedoch, dass Neinstimmen aus dem eigenen Lager den Eindruck erwecken könnten, dass sich bei dem „Kompromiss“ doch die Union zu sehr durchgesetzt habe. Außerdem, sagte Müller gestern zu taz: „Die Alternative zum Ja wäre, dass Rot-Grün am Ende ist.“ Er plädiert deshalb dafür, die Reform als „Zwischenetappe“ eines Prozesses zu sehen, „an dessen Ende wieder soziale Gerechtigkeit steht“.

Unsinn, sagte gestern Skarpelis-Sperk. „Wir brauchen eine eigene Mehrheit bei den Hartz-I- und-II-Gesetzen zur Arbeitsmarktreform. Dort werde ich also trotz Bedenken dafür stimmen.“ Aber bei der Gesundheit wolle sie „mit dem Protest ein Zeichen setzen“, auch wenn sie damit nichts verhindere. „Die Reform ist eine gesetzlich verordnete Lohnkürzung, Punkt.“

Die Kritik von Skarpelis-Sperk entspricht im Wesentlichen dem, was auch viele Experten beklagen, seitdem das Kompromisspaket Ende Juli präsentiert wurde: Es handle sich bloß um ein 20-Milliarden-Euro-Sparpaket, wovon die Versicherten allein 17 Milliarden zu tragen haben: Erhöhte Zuzahlungen, Streichung von Kassenleistungen wie Brillen und Taxifahrten stehen ab 2004 an. Strukturreformen für mehr Effizienz dagegen, lang versprochen und viel beschworen, halten sich arg in Grenzen: Das Institut für Qualität in der Medizin bleibt in den Händen derer, die es eigentlich kontrollieren sollte: Ärzte und Kassen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben monopolistische Verhandler für die Ärzteschaft. Die Pharmaindustrie wird die ihr abverlangten Zugeständnisse aus der Portokasse begleichen können. Schließlich und endlich aber, sagt Skarpelis-Sperk zur taz, „findet beim Zahnersatz ein Systemwechsel statt“.

Der Zahnersatz wird künftig allein von den Versicherten mit einer Extraprämie versichert entweder bei der gesetzlichen Kasse – oder bei einer Privatversicherung. Dies wird, meint Skarpelis-Sperk, dazu führen, „dass die Zahnärzte die Patienten im Behandlungsstuhl unter Druck setzen: Versichern Sie sich doch privat.“ Ärzte können bei den Privatversicherungen üppigere Leistungen abrechnen.

Auch bei den Grünen sollten gestern noch Gespräche mit der Fraktionsspitze geführt werden. So sagte etwa Christian Ströbele zur taz: „Ich bin nicht als einer zu verbuchen, der zustimmt.“ Dass Naturarzneimittel und andere verschreibungsfreie Medikamente nicht mehr kassenbezahlt würden, halte er „für einen Treppenwitz der Geschichte“. Grundsätzlich aber seien alle Reformen der Kanzler-„Agenda 2010“ als „ein Paket“ zu sehen. Soll heißen: Ströbele will sein Ja so teuer wie möglich verkaufen. Unter anderem, sagte er, „sehe ich nicht, dass unsere Forderungen bei den Arbeitsmarktreformen schon erfüllt wurden“. Was jedoch seine Fraktionschefinnen bei Hartz noch ausrichten können, ist mindestens unklar.