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Archiv-Artikel

Die Cowboys von der Dahme

Endstationen (1): Mit der S-Bahn nach Grünau. Die Reste der Geschichte an den Rändern der Stadt

Das Adlergestell sieht von der S-Bahn aus wie eine einzige Aneinanderreihung von Aral, Lidl, Kaufland, Media Markt, Mäc Geiz und Aldi. Garniert wird mit Baumärkten. Über eine Autowaschstraße freut man sich schon, weil die nicht nur aus einem bunten Betonkarton besteht, sondern auch aus Schläuchen, runden Riesenbürsten und Staubsaugern. Nicht mal die Studios in Adlershof sehen nach was aus. Dass hier so glamouröse Shows wie „Anne Will“ produziert werden, mag man kaum glauben. Die Menschen, die hier einsteigen, haben – bis auf einige knackige Studenten – diesen Desillusionsblick, aber schöne Schuhe.

Also schnell weiter nach Grünau. Hier steigt man vorn aus, so meidet man die triste Eingangshalle und steht nach einer Straßenüberquerung schon in einem Wäldchen. Geradeaus geht’s zur Spree, die hier aber Dahme heißt. Die kleine Fähre F12 lockt zu einer kurzen Seereise. Noch immer betätigt der Fährmann einen dicken Magneten, um anzulegen. Eine effektive DDR-Erfindung, um den zweiten Mann zum Vertäuen zu sparen. Wir bleiben aber auf der Grünauer Seite der sogenannten Riviera. Hier gab es ein großes Gasthaus mit Biergarten direkt am Wasser, das schon seit Anfang der Neunziger vergammelt. Aber das „Kaffee Liebig“ gibt es noch, und zwar schon seit 1870. Gerade wird die Fassade renoviert. Drin ein gemütliches Wirrwarr aus Jugendstil-Imitat mit Kristallleuchtern und allerlei rund geschnitztem Holz. Und tonnenschweren Garderobenbügeln. Um die Ecke gab es zu Ostzeiten sogar ein Motel, bei dem die Autos vor den Zimmern parkten. Das ist schon lange abgerissen. Etwas weiter, die Regattastraße runter, steht immer noch die wuchtige Tribüne für die Nazi-Olympiade 1936, daneben eine später gebaute sehr große Anzeigentafel, von der nur noch die Uhr funktioniert. Auf der Ruderstrecke finden noch heute Wettbewerbe statt. In einem schrottigen Waschbetonbau ist ein „Bundesleistungszentrum“.

Vorbei rattert die bei der BVG auf der Langfrist-Streichliste stehende Straßenbahnlinie 68 nach Schmöckwitz. Die führt durch den Wald und am Wasser lang. Wir fahren bis Richtershorn. Direkt bis zum „Westernrestaurant Richtershorn am See“ mit Amifahnen im Garten. Countrymusikfans können in der großen Blockhütte des Restaurants original Line-Dance lernen, eine ulkige Stampftanzmethode, bei der die Männer ihre Cowboyhüte aufbehalten. Die fallen auch nicht runter beim Tanzen. Für Kinder stehen im Biergarten die Bergziegen Otto und Luise zum Streicheln bereit. Auch bei Cowboys gibt’s Frauentage. Für den letzten warb man mit dem Slogan: „Frau wird sagen: Der Tag, an dem Richtershorn Kopf stand!“ Sicher auch wegen dem Richtershorner Männerballett und DJ Captain Cöpenick.

ANDREAS BECKER