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Archiv-Artikel

Ende des Lagerkollers für Tschetschenen

Nach deftigen Protesten werden die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Deutschlands größtem Abschiebelager dezentral auf Kommunen verteilt. Caritas berät Flüchtlinge in Bramsche demnächst „ergebnisoffen“ über ihre Bleibeperspektive

Von Kai Schöneberg

Sie waren eingezäunt in Stacheldraht, eingepfercht in kleinste Zimmer. Der Lagerkoller der zuletzt 74 Tschetschenen in der Landesaufnahmestelle Bramsche ist vorerst zu Ende. Nach zwei Protestbriefen, in denen sich die Bürgerkriegsflüchtlinge über Enge, schlechtes Essen und Drogendealer im Lager beklagt hatten (taz berichtete), wurden sie inzwischen auf sechs Kommunen in Niedersachsen verteilt.

Zwei Familien seien in ihr so genanntes „Erstaufnahmeland“, nach Österreich, „abgereist“, bestätigte gestern das niedersächsische Innenministerium in Hannover. „Es hat sich abgezeichnet, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Entscheidung über die Asylanträge noch länger braucht“, sagte Sprecher Klaus Engemann. Das heiße jedoch nicht, dass für die traumatisierten Familien eine Prognose über ihr Bleiberecht abgegeben worden sei, betonte Engemann.

Der niedersächsische Flüchtlingsrat sieht das völlig anders. Die Proteste der Tschetschenen, aber auch die zwei Blockaden von Flüchtlingen in den vergangenen Monaten vor dem Lagertor hätten offenbar Wirkung gezeigt. Vor zwei Wochen war die bundesweite Lagerkarawane „Gegen Abschiebung und Ausgrenzung“ mit etwa 500 Demonstranten sogar in Bramsche gestartet, um gegen die „miserablen Bedingungen“ in Deutschlands größtem „Abschiebelager“ zu protestieren.

„Wir freuen uns darüber, dass endlich eingesehen wurde, dass diese Menschen Chancen auf Asyl haben“, betont Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Eigentlich sollen nämlich im „Ausreisezentrum“ in Bramsche nur Asylsuchende untergebracht werden, deren Anträge kaum Aussicht auf Erfolg haben. Tatsächlich, so Weber, würden jedoch regelmäßig etwa 40 bis 50 Prozent der derzeit etwa 550 Insassen aus rund 30 Ländern auf die Kommunen verteilt. Die Unterbringung in den zur Verfügung gestellten Sozialwohnungen sei nicht nur humaner, sondern auch deutlich günstiger. Weber betont, dass nur fünf Prozent der Asylsuchenden aus Bramsche „tatsächlich abgeschoben“ würden. Und: „Die meisten tauchen einfach ab.“

Bei einer Rückkehr nach Russland würden den Tschetschenen derzeit „pogromartige Verfolgungen“ drohen, sagt Weber. Zur Zeit schiebt Deutschland nach Aussage des Sprechers des Innenministeriums auch nicht in die Kaukasusrepublik ab, die in den vergangenen Tagen erneut wegen Terroranschlägen und Wahlfälschungen in die Schlagzeilen geriet. Deshalb müsse im Laufe der Verfahren jetzt vor allem „geklärt“ werden, ob die Tschetschenen überhaupt Tschetschenen seien, erklärt der Sprecher.

Für die Flüchtlingsorganisationen steht das kaum in Frage. Seit Jahren klagen sie vielmehr über die „unzumutbaren“ Zustände in der ehemaligen niederländischen Kaserne in der Nähe von Osnabrück. Die Anlage müsse sofort geschlossen werden, hatte der niedersächsische Flüchtlingsrat immer wieder gefordert. Bramsche mache „krank“.

Immerhin dürfte sich auch die Situation der im Lager verbliebenen Flüchtlinge bald bessern. Ab Oktober will die Caritas Asylsuchende in einem „rollenden Büro“ vor der Aufnahmestelle über ihre Chancen auf Bleiberecht unterrichten. „Dem Land geht es nur um Rückkehr, wir wollen eine ergebnisoffene Beratung anbieten“, sagt Ludger Haukap von Caritas International. Die „perfiden“ Methoden der „Beratungsteams“, die Flüchtlinge zur „freiwilligen“ Ausreise bewegen wollen, hatten Hilfsorganisationen stets kritisiert. Widerwilligen sei sogar mit der Streichung des „Taschengelds“, 40 Euro pro Monat, gedroht worden. Haukap sagt es diplomatisch: „Oft führen Anträge erst nach einem Gerichtsverfahren zur Gewährung von Asyl. Oder humanitäre Gründe machen eine Ausreise unmöglich. Da halten wir eine weitergehende Beratung für vielversprechend“.