: Gemeine Arbeit
Die Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose sparen Kommunen und Wohlfahrtsverbänden Geld. Den Einstieg in reguläre Arbeit ermöglichen sie nicht – sie schaden den Betroffenen
Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen sollen künftig gemeinnützige Arbeit leisten – etwa 20 Prozent von ihnen will die Bundesregierung mit Ein- oder Zwei-Euro-Jobs wieder in reguläre Arbeit bringen. Indem die Politik die vermeintliche Integrationsförderung auf die gemeinnützige Arbeit fokussiert, verabschiedet sie sich von dem Ziel, Langzeitarbeitslose durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wieder in existenzsichernde Jobs zu bringen. Die Politik hat damit eingestanden, dass es mangels regulärer Arbeitsplätze keine berufliche Perspektive für Langzeitarbeitslose gibt. Die Ein-Euro-Jobs werden zum Ersatz für reguläre Beschäftigung.
Zwar ist nicht gänzlich auszuschließen, dass jemand trotz gemeinnütziger Arbeit einen Anschlussjob finden wird. Der sinnvollste Weg zu einem regulären Job ist sie nicht. Zunächst kommt gemeinnützige Arbeit vor allem in Bereichen vor, die Übergänge in reguläre Beschäftigung nicht erwarten lassen: soziale Betreuungsaufgaben oder einfache Hilfstätigkeiten im öffentlich finanzierten Sektor.
Die Kommunen freuen sich auf diese Arbeitskräfte, weil sie kein Geld haben. Und die Wohlfahrtsverbände ziehen mit ihrer Offerte nach, tausende von Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, da sie den Verlust öffentlicher Finanzierung und den Mangel an Zivildienstleistenden kompensieren wollen oder diese gar perspektivisch ersetzen müssen. Es ist eine Illusion, darauf zu hoffen, dass Ein-Euro-Jobber in diesem Bereich auf Arbeitsplätze übernommen werden. Ein-Euro-Jobs können reguläre Arbeit vielmehr verdrängen.
Der öffentliche und soziale Sektor und dessen Tätigkeitsfelder besitzen zudem nur wenige Schnittstellen zur privaten Wirtschaft. Gemeinnützige Arbeit soll explizit „wettbewerbsneutral“ angelegt sein, beteuert die Bundesagentur für Arbeit. Sie versucht so, der berechtigten Sorge der Privatwirtschaft zu begegnen, gerade im gewerblichen Bereich öffentliche Aufträge durch Billigjobber zu verlieren. Die gemeinnützige Arbeit verstärkt die alten Mängel der ABM.
Gibt es keine „Klebeeffekte“, bleibt nur der qualifizierende Aspekt der Arbeit. Doch Qualifizierung kostet Geld, das niemand ausgeben möchte. „Learning by doing“ wird daher die Maxime vor allem bei zahlreichen Hilfstätigkeiten sein. Wer bereits was gelernt hat, dessen Qualifikationen werden dadurch eher abgewertet. Die fehlende Arbeitsmarktnähe bleibt ein frommer Wunsch. Die Firmen können sich bereits jetzt der Anfragen nach Praktika kaum erwehren, sodass Betriebsräte zunehmend die Einstellung von Praktikanten verweigern, da sie die Verdrängung regulärer Jobs fürchten.
Doch die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in reguläre Arbeit ist gar nicht das Ziel der Ein-Euro-Jobs – der Staat will mit ihnen schlicht Geld sparen. Wie das Bremer Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende Juni bekannt gab, ist der Bundeshaushalt zur Umsetzung von Hartz IV finanziell unterausgestattet. Dies werde dazu führen, dass „Mehrausgaben für Arbeitslosengeld II nur durch Einsparungen bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gedeckt werden können“. Das defizitäre Restgeld für Eingliederungsmaßnahmen wird gestreckt, indem die einzelne Maßnahme verbilligt wird – und das billigste „Förderangebot“ ist die gemeinnützige Arbeit.
Zudem will die Regierung in der Sozialpolitik den „workfare“-Ansatz umsetzen: Wer das Existenzminimum braucht, weil ihm Arbeitseinkommen und Vermögen fehlt, der soll eine Gegenleistung erbringen. Zur Aufrechterhaltung dieser Argumentation bedarf es nun ausreichender Arbeitsgelegenheiten, die unentgeltlich sind, denn als Äquivalent für die geleistete Arbeit wird die Transferleistung gewährt. Institute wie das Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW vergleichen Billigjobs schon mit regulären. Doch sie sollten einen Blick ins Grundgesetz werfen: Artikel 12 garantiert das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und verbietet Arbeitszwang.
Das bundesrepublikanische Sozialsystem sah für erwerbsfähige Arbeitslose niemals ein Recht auf den Bezug von Transferleistungen vor, wenn es eine zumutbare Arbeit gab. Gab es keine, wurden als Ersatz für reguläre Beschäftigung Transferleistungen gezahlt. Für Langzeitarbeitslose gilt dies nicht mehr. Unabhängig davon, wie hoch die Eigenbeiträge in die Arbeitslosenversicherung waren, definiert der Staat willkürlich, ab wann jemand steuerfinanzierte Transferleistungen erhält und damit zur neuen Gegenleistung verpflichtet ist. So wird es häufig der Fall sein, dass jemand nach einem Jahr Arbeitslosigkeit für seine Transferleistungen arbeiten muss, obwohl er individuell noch ein „Guthaben“ in der Arbeitslosenversicherung hat. Er arbeitet folglich als Arbeitsloser ohne jede Gegenleistung. Eine solche Politik ist das beste Mittel, um den Solidargedanken gerade bei den Mittelschichten und den Gutverdienern zu töten und der privaten „Vorsorge“ den politischen Boden zu bereiten.
Drittens kann der Bund via gemeinnützige Arbeit mit minimalem Geldeinsatz einen großen Einspareffekt über die Aussteuerung aus der Leistung erzielen. Erfahrungen aus Modellprojekten mit Jobcentern oder laufenden Ein-Euro-Programmen belegen, dass die Ausgrenzung erfolgreich gelingt. Die ordnungspolitische und repressive Funktion der gemeinnützigen Arbeit wird mittels der so genannten Erprobung der Arbeitsbereitschaft umgesetzt. Der Langzeitarbeitslose muss eine vertragsfreie und nicht sozialversicherungspflichtige gemeinnützige Arbeit annehmen, um zu beweisen, dass er einen regulären Arbeitsplatz antreten will. Dieser wird ihm aber nicht angeboten. Hat jemand nach Monaten den Test bestanden, kann er – weiterhin arbeitslos – nach Hause gehen und wird durch einen neuen Probanden ersetzt.
Die Aussicht auf die nächsten Jahre ist bitter. Gemeinnützige Arbeit verrichten zu müssen, anstelle die eigene Berufsperspektive verbessern zu können, ist entwürdigend für die Betroffenen. Die Bundesregierung schreibt damit Langzeitarbeitslose in mehrfacher Hinsicht ab. Sie reduziert die Langzeitarbeitslosen auf eine „Grundsicherung“, die gesellschaftliche Teilhabe nicht ermöglicht. Der finanziellen Ausgrenzung fügt sie die Verpflichtung hinzu, einem vermeintlich öffentlichen Interesse jederzeit dienlich sein zu müssen. Wer gemeinnützige Arbeit nicht verrichten will, dem wird unterstellt, er suche keine reguläre Arbeit. Diesem völlig unsinnig konstruierten Zusammenhang folgt bei Verweigerung die Strafe durch Leistungsentzug. Kostenlos dazu gibt es den Nebeneffekt, den Preisdruck auf den Niedriglohnsektor erhöhen zu können.
Vielen Betroffenen nimmt gemeinnützige Arbeit die Zeit, sich selbst zu organisieren und das Lebensnotwendigste zu besorgen. Wer arm ist, hat keine Zeit für gemeinnützige Arbeit. Er muss Geld verdienen, wie auch immer. Wer über 3 Millionen Langzeitarbeitslose mit maximal 345 Euro abspeist, der fördert nicht nur die Ausweitung des Niedriglohnsektors, sondern auch die der Schwarzarbeit. GABY GOTTWALD