Land des Lächelns

Spiel nicht mit dem Schmuddelkind, mach dich nicht gemein mit einem Mann, der mit Blättern wie Wochenend und Coupé wohlhabend wurde: Weshalb Heinz Bauer nicht Verleger des Lokalblatts Tagesspiegel wird

von STEFFEN GRIMBERG

Nach landläufiger Meinung finden unfriendly take-overs ja vor allem nach Börsenschluss statt. Also dann, wenn finstere Trader per Telefon für noch finsterere Strohmänner Anteile horten, auf dass die magischen „fünfzig Prozent plus eine Aktie“ erreicht werden. Ach, wenn’s doch nur so wäre!

Oder wenigstens noch wie anno 1980, als im etwas speckigen Ballsaal des in Ehren verstaubten Connaught-Hotels zu London ein gewisser Rupert Murdoch die Aktionäre der ehrwürdigen Times totquatschte und sich als Retter des in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Unternehmens aufspielte. Betretene Mienen, eine in sich wunderbar verzankte Haupteignerfamilie um den leicht senilen Lord Astor auf dem Podium, unten im Saal angepannte Kleinaktionäre, die ums Tafelsilber fürchteten. Herrliche Possen und Posen, große Plädoyers – nur leider kaum etwas davon ernst gemeint. Und jede Menge Kleingedrucktes. Was unter Murdoch aus Times und Sunday Times wurde, ist bekannt: mittelklassige Mittelschichtszeitungen.

Womit wir beim Tagesspiegel wären. Das Traditionsblatt des alten Westberlin mit der seit Jahren nur in homöopathisch feinen Schritten steigenden Auflage muss sich ebenfalls mit einer feindlichen Übernahme herumschlagen, die eigentlich ganz freundlich gemeint ist. Hat man in der deutschen Verlagsbranche je einen Seniorchef gekannt, der milder blickte, als es Heinz Bauer heute tut?

Das kann er auch, denn ihm gehören Blätter, die die Menschen wirklich lesen wollen. Keine Kaffeetischrenommiertitel wie Zeit, mare, brandeins oder Living At Home. Eher gut gemachte Massenpresse. Bravo – oft kopiert, nie erreicht. Frauen- und Seniorentitel von Bella, Tina und Maxi bis zur Neuen Post und Neuem Blatt – nichts für Sendungsbewusste, aber auch keine Erzeugnisse aus der krawalljournalistischen Ecke.

Der Anhänger einer protestantischen Freikirche scheut sich dabei auch nicht, die Wichsvorlage für schlichtere Gemüter herauszugeben. Und gepriesen wird sie so: „Erotik pur mit Wochenend. In prickelnden Beiträgen und auf Ratgeberseiten dreht sich alles um das Thema Liebe und Sex. Tolle Anregungen nicht nur für das Wochenende.“ Praline und Coupé gehören auch zu seinem Stall, wie dessen Ableger Coupé for you (von dem der Verlag – welch Marketingtrick! – behauptet, es richte sich an die aufgeschlossene Frau von heute).

64 wird Heinz Bauer nun Ende Oktober, und unter dem graublonden Haar lächelt noch immer der kleine Junge, der von seiner Lieblingsbeschäftigung träumt: Zeitungen sammeln. Sogar den Tagesspiegel, der nach Darstellung seiner momentanen Besitzer, der Gebrüder Holtzbrinck, vollends im Morast zu versinken droht. Nicht weiter finanzierbar sei das Blatt, jedenfalls nicht stand alone, also als unabhängige Zeitung. Schuld – das sei fairerweise angemerkt – sind natürlich nicht die Holtzbrincks, denen der Tagesspiegel seit 1992 gehört. Sondern der hauptstädtische Zeitungsmarkt mit all seinen Widrigkeiten und dem Springerverlag sowieso. Sagen jedenfalls – die Holtzbrincks. Und so ist’s nicht mal die halbe Wahrheit.

Hinter der anderen Hälfte versteckt sich wieder einmal – eine Übernahme. Nicht ganz so feindlich dieses Mal: Holtzbrinck hatte voriges Jahr nämlich auch die Berliner Zeitung gekauft, um, so die Begründung, auch den Tagesspiegel zu retten, was das Kartellamt aber nicht glaubte und deshalb verbot. Und jetzt kommt da einer wie Heinz Bauer und behauptet, er schaffe es auch alleine? Will kaufen, obwohl Holtzbrinck gar nicht verkaufen will – es aber müsste, ginge es nach dem Kartellamt?

Nach Feind jedenfalls sieht Heinz Bauer gar nicht aus. Eher ein bisschen langweilig. Ein bis zur Selbstentblößung tätiges Öffentlichkeitstier wie Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der nebenbei noch Talkshows im Öffentlich-Rechtlichen moderiert, ist er jedenfalls überhaupt nicht. Und wenn er mal muss, muss seine Frau ran. Gudrun Bauer repräsentiert dann bei Empfängen und Preisverleihungen. Oder auch eine der vier Töchter – bildhübsch sollen sie sein, verriet ein Kollege, der nicht eben leicht ins Schwärmen gerät.

Und so einer soll, ja muss jetzt feindlich übernehmen. Misslicherweise sind Medienunternehmen in Deutschland meist nicht als börsennotierte Aktiengesellschaften organisiert wie in vernünftigen kapitalistischen Ländern. Nein, hierzulande ist die Familie auch Keimzelle eines jeden Medienimperiums: Bauer, Burda, Kirch, Holtzbrinck, Springer hießen und heißen nach ihren Gründern und Besitzern.

Und so ist oft nichts mit Aktienkauf und Strohmanndeals. Der Einzige, dem beinahe noch so etwas gelang, war Leo Kirch. Er hatte sich nach und nach gegen den Willen des Springerclans in Europas größtes Zeitungshaus, das seit 1984 als eines der ganz wenigen deutschen Medienunternehmen an der Börse ist, eingekauft.

Aber bei vierzig Prozent der Aktien war Schluss. Immerhin, es reichte für ein paar Sitze im Aufsichtsrat, wo Kirch bis zu seiner eigenen Übernahme durch die Banken die Vertreter der Springerseite gerne mal zur Weißglut brachte.

Doch der Tagesspiegel ist keine AG. Und Heinz Bauer kein Leo Kirch. Wie also inszeniert Heinz Bauer den Deal? Der Showdown findet nicht in irgendeinem Hinterzimmer statt, wo Firmenanwälte über Kleingedrucktem pusseln. Sondern vor aller Augen, sogar denen des Bundeswirtschaftsministers.

Gute Taktik: Wolfgang Clement ist jetzt Herr über das Kartellverfahren rund um Holtzbrinck, Tagesspiegel und Berliner Zeitung. Bauer verschiebt hier alle Gewichte in ihr Gegenteil: Der Tagesspiegel – allein nicht zu stemmen? Lächerlich, da steht sogar ein Käufer.

Beziehungsweise sitzt. Um elf Uhr erst geht die öffentliche Anhörung vor Clement höchstpersönlich an diesem Spätsommertag im September los. Der wie ein Unihörsaal gebaute Raum im Wirtschaftsministerium ist völlig leer, doch Bauer will nicht in der ersten Reihe Platz nehmen. Hier werden sich vom Tagesspiegel-Chefredakteur bis zum Konzernchef später ein Dutzend Holtzbrincks produzieren. Der feindliche Übernehmer, unglaublich, aber wahr, versteckt sich in der dritten Reihe.

Wie dem auch sei: Bauer ist eben keine Rampensau. Dummerweise ist der Hanseat eine halbe Stunde zu früh dran und hat obendrein nur ganze zwei Mann als Verstärkung mitgebracht. Etwas verloren und ziemlich auffällig hockt das Trio im großen Saal im Gebäude an der Berliner Invalidenstraße.

Eisern hält der Hamburger wider die Holtzbrincks an seiner Strategie der Schlichtheit fest. Eine Dreiviertelstunde dürfte er sprechen, doch Bauer nimmt sich ganze fünf Minuten, geht nicht einmal nach vorn ans Rednerpult, sondern lässt sich das Mikrofon durchreichen. Er sei am Tagesspiegel als Qualitätszeitung interessiert, basta. Zwanzig Millionen Euro würde er bieten und, versteht sich, den Bestand der Zeitung auf Jahre garantieren.

Holtzbrinck kontert: Bauer sei ein vom Springerverlag instruierter Strohmann – keine Reaktion. Bauer habe erklärt, er wolle den Tagesspiegel, um seinen Töchtern etwas zu bieten – Bauer bleibt still. Bauers Angebot sei doch schlicht und ergreifend unseriös – pauschalen Unsinn straft ein Bauer erst recht mit souveräner Missachtung.

Und wenn Holtzbrinck jetzt für den Tagesspiegel plötzlich ganz viel frisches Geld investiert? – „Garantieren wir das auch“, sagt Bauer. In jeder Höhe? – „In jeder Höhe.“ Für zwanzig Jahre? – Zack, da ist die Contenance für einen Augenblick weg: „Nichts lässt sich auf ewig zusichern“, entfährt es Bauer. Aber das will Clement nicht hören. Um realistischen Geschäftssinn geht es doch gar nicht. Hier wird gepokert.

Heinz Bauer hat gepatzt, hat nicht die coole Linie durchgehalten, ist nicht mitgegangen. Die feindliche Übernahme wird bis auf weiteres ins Hinterzimmer verwiesen. Dahin, wo Broker nach Börsenschluss telefonieren.

STEFFEN GRIMBERG, 35, taz-Medienredakteur, zählt zu seinen Lieblingsmedienerzeugnissen die Zeit, mare, brandeins und Living At Home