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Archiv-Artikel

RENATE SCHMIDT SIND REICHEN-KINDER MEHR WERT ALS ARMEN-KINDER Wer hat, dem soll gegeben werden

Familienministerin Renate Schmidt will beim Kinderkriegen einführen, was die Regierung mit Hartz IV beim Arbeitverlieren gerade abgeschafft hat: die Kopplung der staatlichen Zuwendung an die Lohnhöhe. Dem Staat ist also jetzt zwar jeder Arbeitslose gleich viel wert, nicht aber jedes Elternpaar. Das liegt daran, dass Arbeitslosigkeit nicht honoriert werden soll, Kinderkriegen aber schon.

Es mag schon sein, dass in Schweden mehr Väter ins Babyjahr gehen, weil sie bis zu 80 Prozent ihres Lohns vom Staat ersetzt bekommen. Es mag auch sein, dass gerade die studierten Aufsteiger sich eher für ein Kind entscheiden, wenn sie nicht auf so viel Einkommen verzichten müssten. Überhaupt ist es möglich, dass Leute, die Karriere machen, mit mehr Geld in die Reproduktion gelockt werden können. Pragmatisch gesehen, hat Renate Schmidt also Recht, wenn sie mit Lohnersatzleistung statt Elterngeld Wahlkampf machen will.

Allerdings läuft Schmidts Idee darauf hinaus, dass dem Staat die Gutverdiener-Kinder mehr wert sind als die Schlechtverdiener-Kinder. Und das ist ein Unding. Natürlich kleben die AkademikerInnen mehr an ihrem Job, der ihnen Selbstverwirklichung und Aufstieg verspricht, als schlechter Ausgebildete, denen täglich vom Arbeitgeber gezeigt wird, dass sie austauschbar sind. Aber deshalb darf der Staat ihre Reproduktionsfreude nicht unterschiedlich stark fördern. Und selbst wenn das in den so oft als Vorbild zitierten skandinavischen Ländern funktioniert, so heißt das noch lange nicht, dass diese Maßnahme auch in Deutschland greift. Je länger sich die Soziologen mit dem Phänomen Kinderlosigkeit befassen, desto deutlicher wird, wie individuell und schwer greifbar die Gründe dafür sind.

Deutlich ist dagegen die sehr deutsche Angst abzusteigen, wenn man seinen Arbeitsplatz auch nur zwei Tage leer lässt – geschweige denn ein ganzes Jahr. Sie trifft die schlechter Verdienenden ebenso wie das Aufsteigermilieu – mit unterschiedlicher Berechtigung, aber gleicher gefühlter Betroffenheit. Diese Angst wird übrigens durch die Hartz-IV-Politik nicht geringer. ULRIKE WINKELMANN