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Archiv-Artikel

Nur noch ein Anhängsel

Der Leipziger Traum von Olympia begann in Riesa, weswegen dort im Jahr 2012 auch66 Goldmedaillen vergeben werden sollten. Doch davon ist schon längst nicht mehr die Rede

von MARKUS VÖLKER

Die Große Kreisstadt Riesa hatte einen Traum: den Traum von Olympia. Er wurde im fernen Kalifornien beim Bier geboren und geisterte fortan durch die Köpfe der Riesaer, die urplötzlich für den Sport entflammten. Selbst von exotischen Sportarten wie Sumo ließen sie sich mitreißen; am Samstag beginnt im Städtchen wieder eine Europameisterschaft der dicken Kämpfer. Riesa, wo einst im großen Stil Stahl gehärtet wurde, erwarb nach Schließung des Werkes 1991 den Ruf einer Sportstadt. Bürgermeister Wolfram Köhler, Boxmanager und umtriebiger Cheforganisator der Sportstädtler, machte es möglich. Er war damals dabei, beim Umtrunk in Kalifornien. Die Einwohner des Städtchens an der Elbe, zwischen Leipzig und Dresden gelegen, sahen sich als Erfinder der sächsischen Olympia-Idee. Doch was ist daraus geworden? Ausgebootet fühlt sich das Erfinderstädtchen, grob übergangen und gelackmeiert; wie ein kleiner Tüftler, der vergessen hat, seine Neuerung patentieren zu lassen und nun gegen den Großkonzern, der die Idee aufgeschnappt hat, nicht mehr ankommt.

„Die Leute haben sich nicht als i-Punkt der nationalen Bewerbung gesehen, sondern als deren Wurzel“, sagt Norbert Paul (CDU), der von Köhler, mittlerweile als sächsischer Staatssekretär nach Dresden abgewandert, die örtlichen Olympiageschäfte übernommen hat. „Es ist emotional schwierig, das zu verdauen, aber wir sind ja noch Bestandteil der Bewerbung geblieben“, sagt er tapfer. Anfangs sollten 66 Goldmedaillen in Riesa vergeben werden. Wettkämpfe im Ringen, Judo, Taekwondo und Gewichtheben waren geplant. Doch schon früh, nach dem Sieg Leipzigs als deutsche Kandidatenstadt, kamen Zweifel auf, ob es bei den Plänen bleiben würde.

Die Riesaer versuchten das drohende Unheil zu verdrängen, klebten eifrig „Spiele mit uns“-Sticker auf ihre Autos und schlugen mit ihrer Begeisterungsfähigkeit für Olympia jede andere Region in Sachsen, auch Leipzig. Jetzt haben viele Riesaer den Aufkleber entfernt. „Die Leute sind enttäuscht“, sagt Paul, 41. Nach einem Beschluss der Leipzig 2012 GmbH, mehrheitlich vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK) geführt, verkümmert Riesa zum Ausrichter von Fußball-Vorrundenspielen. Mit einem Trainingszentrum darf die 40.000-Einwohner-Stadt noch rechnen: Peanuts im Vergleich zu den olympischen Aussichten von einst. Und selbst die Fußballspiele scheinen nicht mehr sicher, seitdem sich das NOK an den Fairplay-Pakt mit den unterlegenen Bewerberstädten erinnert hat.

Hamburg, Stuttgart, Düsseldorf und Frankfurt am Main werden voraussichtlich Vorrundenspiele im Fußball bekommen – wenn es mit Leipzigs Bewerbung überhaupt etwas wird. Die neue Konkurrenz ängstigt Riesa, das nun alle Felle davonschwimmen sieht. Um den Totalverlust zu vermeiden, hat Riesa, genauer die Initiativgruppe „Olympia HIER“, auf Diplomatie per Einschreiben gesetzt. Paul verlangte in einem Brief an Leipzig Detailinformationen zum Sportstättenkonzept: „Die im Aufsichtsrat beschlossenen Punkte, die unsere Stadt betreffen, müssen zwischen unseren beiden Städten vertraglich und unkündbar festgeschrieben werden.“ Leipzig hat inzwischen geantwortet. Der Inhalt: Vertraglich fixiert wird nichts, aber freundlich sind wir künftig schon zu euch. Olympiachef Wolfgang Tiefensee plant eine Reise nach Riesa, „sehr, sehr bald schon“, heißt es.

Warum sollte sich die Kleinstadt noch für Leipzig einsetzen, „wenn im Jahr 2005 Riesa niemanden mehr interessiert“, fragt Paul. Eine Antwort hat Dieter Graf Landsberg-Velen parat. Der Vizepräsident des NOK und Chef des Beirates der Olympia GmbH, teilt an die Adresse der Gebeutelten generös mit: „Vorrundenspiele gerne.“ Und weiter: „Ich habe nichts dagegen, in dem Fall einen größeren Radius zu ziehen; ich sehe diesbezüglich keine Probleme.“ Landsberg, der seinen Olympia-Job am 12. April angetreten hat, ist Verfechter des Kompaktmodells.

97 Prozent der Entscheidungen sollen in einem Radius von nur zehn Kilometern stattfinden: mit diesem „Alleinstellungsmerkmal“ will Leipzig die Konkurrenz aus New York oder Paris schlagen. „Wenn wir die Kompaktheit nicht durchsetzen, können wir die ganze Sache aufgeben“, sagt Landsberg. Und: „Dass das gewissen regionalen Interessen wehtut, war klar.“ Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, mit diesen Empfindlichkeiten fertig zu werden, sondern sicherzustellen, „dass Leipzig das Alleinstellungsmerkmal bekommt – alles andere wirft Leipzig aus dem Rennen“. Er muntert Riesa zum Mitmachen auf. „Wenn sie mitziehen, sind sie bei einer chancenreichen Bewerbung dabei.“

Riesa kriecht nur langsam aus dem Schmollwinkel heraus und bemüht sich einzusehen, dass es mit dem Häppchen leben muss. Paul macht sich Mut mit der Behauptung, der verbliebene kleine Rest sei in der Nachnutzung sogar besser als großartige Hallenneubauten. „Ich möchte, dass die Skepsis aufhört und dass die Leute wieder brennen für Olympia“, sagt er. Davor sprach er noch erregt davon, Riesa sei „unfair rausgewippt“ worden. Die Große Kreisstadt leidet offenbar schwer daran, nur noch ein lästiges Anhängsel zu sein im Olympiaspiel der anderen.