Kampagnieros ohne Ideologie

Bislang marschierte man publizistisch hübsch getrennt. Doch in diesem Sommer präsentieren sich der „Spiegel“ und die Springer-Presse mit wechselnden Partnern als Meinungskartell – obwohl (oder weil) ihre Macht schwindet

VON STEFFEN GRIMBERG

Wir fassen zusammen: „Vor ein paar Wochen gab es im Hamburger Spiegel-Haus das, was man landläufig ein konspiratives Treffen nennen würde, nur dass die kleine Sitzung eben nicht auf Anrüchiges gerichtet war, sondern auf einen in den Augen der Beteiligten – und nicht nur in deren – nötigen und heilsamen Umsturz“, berichtete die Süddeutsche Zeitung Anfang August in eigener Sache. „Emissäre“ waren ins Hochhaus am Hafen gekommen, nicht nur aus dem liberalen Münchner Verlag, sondern auch von der Axel Springer AG. Fehlen tat eigentlich nur einer: FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Doch mit ihm, war dazu im Tagesspiegel zu lesen, hätten Spiegel-Chef Stefan Aust und Springer-Vorstand Mathias Döpfner schon zuvor den Umsturz „im Berliner Restaurant Borchardt (…) ausgeheckt“. Endlich war also wieder etwas los im zentralen Hinterzimmer der Berliner Republik.

Journalismus kann so schön sein. Vor allem, wenn man im Nobelrestaurant bloß beschloss, gegen die Rechtschreibreform zu revoltieren. Doch derzeit überlagern sich die Kampagnen: Längst droht nicht mehr nur die vollendete Legasthenie dank „Schlechtschreibreform“ (Bild). Nun steht wegen eines EU-Urteils wider die Veröffentlichung irrelevanter Paparazzi-Fotos auch gleich die ganze freie Presse auf der Kippe. „Herr Bundeskanzler, stoppen Sie die Zensur!“, forderten vor einer Woche 40 Chefredakteure, die Springer auf Passbildformat gestutzt in die Spalten seines Zentralorgans Bild gepfercht hatte. (Und es mag in der Tat beklagenswert sein, dass der Entscheid des Europäischen Menschengerichtshofs künftig die Berichterstattung über Prominente einschränken könnte. Doch ein sonst wie heraufdämmernder Untergang des Abendlandes ist die – von Bild inzwischen „Maulkorb-Urteil“ getaufte – Entscheidung nicht.) Auch diesmal in der Passbildergalerie ganz vorne dabei: Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust. Aust und Döpfner kennen sich schon länger, fuhren auch schon mal zusammen Ski in den Alpen, persönlich, heißt es, sei das Verhältnis bestens.

Publizistisch marschierte man bislang aber hübsch getrennt. Bild und Spiegel auf gemeinsamem Kurs – das war lange Zeit undenkbar. Doch die Entideologisierung der Berliner Republik gebiert die schönsten Allianzen: Mit Döpfners Meute kämpft sich’s eben gut, auch fürs ehemalige Sturmgeschütz der Demokratie. Man erreiche zusammen rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, rechneten Aust und Döpfner in ihrem gemeinsamen Rechtschreib-Aufruf vor. Das Verhältnis zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Aust ist erheblich abgekühlt, der Spiegel auf dem Weg ins Lager der publizistischen Opposition.

Die Behauptung tritt an die Stelle der Information

Dabei nehmen die beteiligten Blätter völlig selbstverständlich in Kauf, dass die ganze schöne Kampagnerei eine differenzierte Berichterstattung unmöglich macht: Die Behauptung tritt an die Stelle der Information. Für Bild mag das nicht ungewohnt sein, beim Spiegel aber sorgten einseitige Entgleisungen – wie jüngst die Anti-Windkraft-Suada – bislang noch für heftige Reaktionen.

Außerdem schleifen sich große, böse Worte wie „Zensur“, inflationär in derart banalen Zusammenhängen wie dem Paparazzi-Urteil gebraucht, sehr schnell ab. Es war der ehemalige Spiegel-Redakteur Hans Leyendecker, der deshalb in der Süddeutschen Zeitung noch mal an die Spiegel-Affäre 1962 und den korrekten Wortgebrauch erinnerte.

Der eigentliche Tabubruch hatte allerdings bereits mit der Orthografie-Debatte stattgefunden: „Ziel dieser Maßnahme ist die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung“, hieß es im Generalstabston in der gemeinsamen Erklärung von Spiegel und Springer. Die Presse beschließt, den Journalismus Journalismus sein zu lassen und Politiker zu werden – und das in einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Konstellation: Schließlich war die FAZ vor drei Jahren mehr oder weniger im Alleingang zur alten Rechtschrebung zurückgekehrt, jetzt, nachdem auch Aust und Döpfner dem Beispiel der FAZ folgen wollen (und sich leider auch die Süddeutsche am Veröffentlichungstag der Erklärung von Spiegel und Springer-Verlag der Kampagne angeschlossen hat), wird die gemeinsame publizistische Macht mobilisiert.

Keine weiteren Kampagnen?Wer garantiert das?

Was wiederum die FAZ anbelangt, ist dort der Abbau eigener Vorbehalte gegen Springer eine Art Langzeitprojekt. Natürlich sind da zum einen die zur Welt abgewanderten Ex-FAZler wie Eckhard Fuhr, der von der Innenpolitik (FAZ) ins politische Feuilleton (Welt) wechselte. Oder der ehemalige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg, jetzt Springer-Autor und Bild-Kommentator.

Doch auch die Dagebliebenen neigen längst nicht mehr zu übertriebenen Berührungsängsten. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, das ehemalige Enfant terrible des traditionellen Feuilletons, ließ sein Buch „Das Methusalem-Komplott“ im Frühjahr vorab von Bild drucken, was wiederum für eine hervorragende Position des Buches in der Bestsellerliste des Spiegels sorgte, der seinerseits ebenfalls sechs volle Seiten vorabdruckte – so lang sind heute meist nicht einmal mehr die Titelgeschichten. Und hatte Schirrmacher nicht schon im Jahr 2000 beim Börne-Preis die Laudatio auf Spiegel-Gründer Rudolf Augstein gehalten?

Spiegel, FAZ, Springers Bild und Welt – als führende Titel des Landes präsentieren sie sich im Sommer 2004 mit wenigen Ausnahmen als Meinungskartell, das sich zumindest bei gesellschaftspolitischen, publikumsnahen Themen wie der Rechtschreibung prächtig versteht. Weitere Mitglieder – siehe Süddeutsche – sind dabei herzlich willkommen.

Und auch wenn Bums-Chefredakteur Claus Strunz bei „Sabine Christiansen“ unlängst die Republik beruhigte, derartig konzertierte Kampagnen seien „bei anderen Reformvorhaben“ sicherlich „nicht zulässig oder machbar“: Wer garantiert uns das? Wird die Bild-Kampagne „Steuern runter! Macht Deutschland munter!“ demnächst vielleicht auch in FAZ und Spiegel wiederholt? Natürlich mit dem höflichen Verweis auf die mehr als 60-prozentige Reichweite der beteiligten Titel? – Aufkleber hat Bild bestimmt noch genügend.

Die politische Verortung der Presse ist – von klischeehaften Zuweisungen einmal abgesehen – seit Jahren verschwommen. Dass im Frühjahr 2001 namhafte Feuilletonisten aus der Süddeutschen zur FAZ und aus der FAZ zur Süddeutschen wechselten, ist da nur ein Beispiel aus dem Zeitungsalltag. Eigentlich aber sieht es so aus, als würden die Zeitungen nur den Bedeutungsverlust der klassischen Politik, das Verschwinden trennscharfer politisch-ideologischer Linien nachvollziehen.

Alle Blätter segeln mitten im breiten liberalen Fahrwasser

Visionen haben in Zeiten kleinteilig-komplexer Steuerung nichts verloren. Eine dezidiert politische Meinung, die sich im Blatt wiederfindet und den Chefredakteur alter Schule auszeichnete, ebenso wenig. Alle Blätter segeln mitten im breiten liberalen Fahrwasser. Für ideologische Ausreißer nach altem Muster, wie sie von Zeit zu Zeit noch die Welt vollbringt, ist man geradezu dankbar. Doch auch bei Springers offenbar auf ewig alimentiertem Intelligenzblatt wirken die forschen Polemiken, die der neue Chefredakteur Roger Köppel auf der Titelseite platziert, wie bloße Inszenierung. Was bleibt, ist „pragmatische Stückwerksarbeit“, wie es der Medienforscher Lutz Hachmeister nennt.

Das Schreibkartell von Spiegel bis Springer ist so eine fast logische, aber bedrohliche Folge. „Ein gewichtiger Teil des Journalismus stellt am Beginn des 21. Jahrhunderts eine spätbürgerliche Elite dar, die mit anderen Kadern der Medienunternehmen sowie mit Machtgruppen aus Wirtschaft und Politik eng verflochten ist“, schrieb Hachmeister bereits 2002 in der taz. „Bei der fortgesetzten personellen Schwächung des eigentlichen politischen Systems“ komme es automatisch zu einem „generellen Bedeutungszuwachs der medialen Führungsschichten“.

Der forsche Auftritt des Meinungskartells in Sachen Rechtschreibreform, die Ankündigung, an Stelle der Politik die Dinge jetzt selbst in die Hand zu nehmen, ist das beste Eingeständnis dieser zunehmenden Macht, wenngleich die ihrerseits ironischer- wie logischerweise mit einem Relevanzverlust der Titel selbst einhergeht. Ende August schrieb die Süddeutsche über den Spiegel als „journalistische Institution, die einst in der Hauptstadt Bonn politische Krisen auslösen konnte“ …

„Obwohl wir politisch nicht immer gleicher Meinung waren, wurde Axel Springer wie ein zweiter Vater für mich“, hatte der Schweizer Filmproduzent und mehrfache Oscar-Gewinner Arthur Cohn einmal dem Stern anvertraut. „Dass er der böse und vereinsamte König der Rechten war“, so Cohn über den Verleger, „ist ja ein Märchen. Ich weiß, dass er nach dem Selbstmord seines Sohnes bis zuletzt einen Brief mit sich rumtrug, den ihm niemand anderer geschrieben hat als Rudolf Augstein. Ein goldiger Brief voller Intensität und intimer Herzlichkeit – als wenn der eigene Bruder ihm schreiben würde.“ Das war im Frühjahr 2000, Augstein lebte noch.

Es müsse schon um „etwas Großes“ gehen, „wenn sich Spiegel und Bild-Zeitung zusammentun“, immerhin das sagt auch heute noch Bild-Chefredakteur und -Herausgeber Kai Diekmann. Anlass dafür war diesmal aber kein heilsamer Umsturz, sondern die Premiere von „Die Kinder des Monsieur Mathieu“, des jüngsten Films von Arthur Cohn. Boulevardblatt und Nachrichtenmagazin präsentierten ihn in schönster Eintracht vor zwei Wochen in der Ullstein-Halle des neuen Springer-Komplexes in Berlin. Wer danach mit wem ins Borchardt ging, ist nicht überliefert.