Gestalt von einem anderen Stern

Die Ausstellung „Der Atlas von Borges“ zeigt im Instituto Cervantes Fotos, die María Kodama von Jorge Luis Borges, ihrem Lebensgefährten, gemacht hat. Sie zeigen einen privaten Raum, die Vertrautheit zweier Personen

Wenn die wahrscheinlich berühmteste Literatenwitwe der Welt auftritt, stellt sich Nostalgie ein. Denn María Kodama war nicht nur die Lebensgefährtin von Jorge Luis Borges, sie hat ihn auch fotografiert. Das Instituto Cervantes in Berlin präsentiert derzeit eine Auswahl an Fotografien und Texten, die auf den Reisen Jorge Luis Borges’ und María Kodamas durch die Welt entstanden sind.

Die vergrößerten und mit Borges-Zitaten versehenen Aufnahmen zeigen meistens den greisen Dichter und seine Lebenspartnerin als kultivierte Reisende in Mexiko, Japan, USA und anderswo. Die Fotos erheben keinerlei künstlerischen Anspruch. So ist die Ausstellung inhaltlich auf den diskreten Radius der Vertrautheit zweier Personen beschränkt, von denen der eine – in der Perspektive seiner Bewunderer – selbst schon so etwas wie ein wandelndes Dokument war: Der blinde Dichter aus dem fernen Argentinien, das Erzählgenie von Geschichten, die sich in ihren Verfremdungen immer stärker steigern. In Kodamas privater Fotosprache, und da muss man nicht zweimal hinschauen, war Borges ein elegant angezogener Herr, halb Guru, halb verwirrt über den launischen Wechsel der Welt. Die Aufnahmen zeigten die späten Siebziger und die frühen Achtziger, durch welche Borges’ zu wandeln scheint wie eine Gestalt von einem anderen Stern.

In Wirklichkeit äußert sich in diesem fehl am Platze wirkenden Habitus aber die Sozialisation eines Mannes, der zum wohlhabenden Bürgertum Argentiniens gehörte. Der kinderlose und sehr alte Mann zeigt auf den Fotos die Geste des Letzten seiner Art. Deswegen wohl auch die Melancholie der Texte zum Bild, die von Borges stammen: Aus ihnen spricht der Zauber des untergegangenen Literaturverständnisses des 19. Jahrhunderts. Borges hat einmal geschrieben, dass man im Leben des Schriftstellers bemüht sei, Labyrinthe und Städte zu erfinden, am Ende aber habe man sein Gesicht gezeichnet. Sein eigenes Gesicht aber konnte er wegen seiner Erblindung ab seinem fünfzigsten Lebensjahr nicht mehr im Spiegel betrachten.

Der Besucher ist hier ein willkommener Eindringling in den privaten Raum von Kodama-Borges. Sofort ist man drinnen und blickt in die Gesetze ihrer Wechselbeziehung. Die viel Jüngere knipst, und das Objekt Borges ist Signifikant und Signifikat in einem: Dass sie den Dichter der Rätsel und Labyrinthe festhielt, war auch der Bewusstwerdung zuzuschreiben, es schon zu Lebzeiten mit einem literarischen Denkmal zu tun zu haben. Selbst Maradona kann nicht so würdevoll argentinisch staatstragend sein wie der Mann, der sich als 14-Jähriger in Genf mit Gedichten Heinrich Heines Deutschkenntnisse aneignete. Das ist eine Geschichte, die oft kolportiert wird, um Borges’ Liebe zur deutschsprachigen Literatur zu verdeutlichen. Aber auch das war die Liebe eines Herrn alten Schlages. Das Patriarchalische, das in dieser Figur des großen alten Literaten und der Bewunderung für sie liegt, ist gleichzeitig auch das Anrührende, gerade weil es so museal anmutet: Die Idee, dass einzelne große Männer wie Shakespeare, Goethe, Schopenhauer – und eben auch Borges – Hochkultur zeugen; und dass dies völkerverbindend sein kann.

Ohnehin stellte man sich während der Ausstellungseröffnung dauernd Fragen, die angesichts des Denkmalcharakters von Borges den Rand des Subversiven streiften. Zum Beispiel diese: Warum wurde ein blinder, knapp über fünfzigjähriger Lyriker und Essayist, dessen Bücher sich schlecht verkauften, Direktor der Nationalbibliothek in Buenos Aires? In Zeiten des Jobmangels und der Finanzkrise mutet so eine Berufung nahezu märchenhaft an. Aber um das Element des Legendären geht es auch bei der Ausstellung. Borgesleser sollten sie auf keinen Fall verpassen.

MANUEL KARASEK

Instituto Cervantes, Rosenstr. 18/19. Mo–Do 12–19 Uhr, Fr 12–18 Uhr. Bis 8. Mai