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Archiv-Artikel

Animierte Spermien, verwirrte Gefühlslagen

Lidokino (6): Beim Filmfestival in Venedig überzeichnet Spike Lee lesbische Figuren, um die Stereotype sodann ad absurdum führen zu können – eine ziemlich riskante Strategie

Die Pressekonferenz zu „She hate me“, Spike Lees neuem Film, fängt an, bevor die erste Vorführung des Films endet – eine von vielen Unannehmlichkeiten, für die die Logistiker des Festivals verantwortlich zeichnen. „Ich glaube fest daran“, sagt Lee, „dass homosexuelle Eltern ein Kind genauso gut großziehen können wie heterosexuelle.“ Seine Versicherung ist alles andere als überflüssig, lässt doch „She hate me“ nicht in jedem Moment glauben, dass der Regisseur tatsächlich so fortschrittlich denkt. Der Film mischt zwei Plots: Die eine Geschichte kreist um Wirtschaftsbetrug in einem Pharmaunternehmen, die andere um Lesben, die Kinder haben wollen und die Dienste eines Samenspenders in Anspruch nehmen.

Dieser Samenspender, John Henry Armstrong (Anthony Mackie), ist das Bindeglied zwischen den zwei Teilen. Er, 30 Jahre alt, Harvard-Absolvent, Vorstandsmitglied und Afroamerikaner, hat die Wirtschaftsaufsicht verständigt, als er von den kriminellen Machenschaften in seinem Unternehmen erfuhr. Die übrigen Vorstandmitglieder wissen jedoch dafür zu sorgen, dass er als Schuldiger dasteht. Die Konten werden ihm eingefroren, Ermittlungen gegen ihn eingeleitet. In seiner Bedrängnis lässt er sich auf einen Handel ein: Er befruchtet seine einstige Verlobte Fatima Goodrich (Kerry Washington), deren Freundin Alex Guerrero (Dania Ramirez) für je 5.000 Dollar und 16 weitere Frauen für je 10.000 Dollar. Am Ende kommen 19 Kinder zur Welt. „In den USA“, sagt Lee, „mochten 50 Prozent der Lesben, die den Film sahen, ihn, die andere Hälfte nicht.“

Während der ersten halben Stunde des Films gehörte ich zur zweiten Gruppe. Obwohl man bei einem Regisseur wie Lee eine Sensibilität für die Fragen von Repräsentation und Missrepräsentation voraussetzen möchte, fällt ihm zu Lesben nichts als das uralte Klischee ein. Je lauter Alex „I don’t do dick“ ruft, umso schneller wird klar, dass dieser dick – da er smart, gut aussehend und feinfühlig ist – alle ins Bett kriegt. Oder aufs Waschbecken. Oder vor die Wohnzimmerwand. Ob Lee jemals etwas von Insemination gehört oder Recherchen angestellt hat, wie lesbische Paare vorgehen? Sieht nicht so aus. Auch wenn Anthony Mackie, der Hauptdarsteller, bei der Pressekonferenz das Gegenteil versichert.

Zu seinem großen Glück bleibt es nicht dabei. Den Stammtischgedanken von den Lesben, die nur mal ordentlich rangenommen werden müssen, lässt Lee fallen. Armstrong gewinnt – mit einer kleinen Ausnahme – keine Frau für die Heterosexualität; es gibt kein umgekehrtes Coming-out. Darüber hinaus wird bald klar, dass die grobe Überzeichnung, mit der Lee die lesbischen Figuren bestraft, Teil seiner Strategie ist: Er führt die Stereotype ein, um sie anschließend ad absurdum zu führen, und er tut dies mit allen Personengruppen. Man kann das wohl als einen wesentlichen Teil seines Filmschaffens begreifen: Er bekämpft die Stereotype, indem er offensiv mit ihnen arbeitet. Natürlich ist das riskant, und einen eleganten Film bringt diese Strategie nicht hervor. Eher eine Klamotte, die in einem Augenblick animierte Spermien durch den Muttermund jagt, im nächsten den Watergate-Skandal neu interpretiert, im übernächsten die verwirrten Gefühlslagen der Figuren ernsthaft erforscht und schlussendlich John Turturro einen Dialog aus „The Godfather“ nachspielen lässt – den, in dem sich Marlon Brandos Don Corleone dagegen wendet, dass die Mafia ins Drogengeschäft einsteigt. Die jüngeren Mafiosi entgegnen dem alten Mann, sie würden das Heroin ohnehin nur „an die Nigger, die Tiere“ verkaufen. Lee weist mit diesem Dialog nicht nur auf den latenten Rassismus von New Hollywood hin, er bereitet uns zugleich ein großes Vergnügen, wenn er John Turturro mit vorgeschobenem Kiefer und heiserem Sprechen in Brandos Rolle schlüpfen lässt.

CRISTINA NORD