: Rechtsstreit auf Kosten der Kinder
Das Gesundheitsamt diagnostiziert eine seelische Behinderung und besonderen Förderbedarf von Kita-Kindern. Das Amt für soziale Dienste lehnt es ab, zu zahlen. Die Stadt hat Eilverfahren verloren – und die Entscheidung immer noch nicht korrigiert
Bremen taz ■ Mark sitzt etwas teilnahmslos in der „Hühnergruppe“ im Kindergarten Bremen-Arsten. Man muss dieses Kind nur einige Minuten beobachten, um zu sehen: Mark scheint zufrieden zu sein in seiner Abgeschiedenheit, reagiert nicht auf die anderen Kinder, will nicht angesprochen werden. Das Gesundheitsamt hat in einem Gutachten geschrieben: Bei Mark sind „Entwicklungsverzögerungen“ festzustellen und „Wahrnehmungs-Verarbeitungs-Störungen“. Das begründet einen besonderen Förderbedarf, „persönliche Assistenz“, um dieses Kind immer wieder besonders anzusprechen, „in die Gruppe“ zu holen, beim Spielen im Freien zu begleiten, beim Essen zu helfen, auch zu wickeln.
Die Leiterin der Kita hatte sich im Frühjahr um einen Zivi gekümmert, im vergangenen Jahr noch lief das in vergleichbaren Fällen nach bewährtem Schema. Mitten in den Sommerferien kam in diesem Jahr die Ablehnung vom Amt für Soziale Dienste: Eine persönliche Assistenz wird nur noch im Falle diagnostizierter geistiger oder körperlicher Behinderung gewährt. Das hat alle Beteiligten überrascht. Möglicherweise ist Mark wirklich geistig behindert, bisher hat das Gesundheitsamt in seinen Diagnosen die Defizite bei kleinen Kindern etwas zurückhaltender beschrieben.
„Ich kann Mark aber doch nicht sagt Hause schicken“, sagt die Leiterin Hella Wesseler-Kühl. Ihre Kita in Arsten gilt als Vorzeigeprojekt für die Integration, vor Jahren berichtete die Zeit in einem großen Artikel über das Modell. Nicht nur Arsten ist betroffen, im Bereich der evangelischen Kitas in Bremen gab es im Juli rund 20 Ablehnungen. Das Kindergartenjahr hat im August begonnen, die Eltern haben Widerspruch eingelegt – bis heute ist keiner der Widersprüche bearbeitet.
Einige der Eltern haben Rechtsanwalt Matthias Westerholt eingeschaltet, der in Eilverfahren die Stadt zwingen soll, die Assistenz für die Kinder anzuerkennen. Am 23. September verurteilte das Verwaltungsgericht die Stadt, für zwei Kinder der Kita Seewenje-Straße in Gröpelingen die persönliche Assistenz zu garantieren. Das ist eine Woche her, die Kita-Leiterin Katharina Kamphoff hat bisher nicht erfahren, wie die Stadt auf den Richterspruch reagiert.
Das Urteil empfindet sie als Niederlage, weil die Richter ihre Betrachtung auf den Rechtsanspruch von vier Kita-Stunden pro Tag beschränkten. „Vier Stunden sind für Kinder mit Entwicklungsstörungen viel zu wenig, sie brauchen länger, um sich in einer Gruppe einzugewöhnen“, sagt sie.
Ein „bürokratischer Dschungel“ sei inzwischen entstanden, in dem die Eltern für die Förderung ihrer behinderten Kinder kämpfen müssen, klagt Kita-Leiterin Kamphoff, „für uns ist die Situation untragbar“. Die Verfahren seien unmöglich, stimmt Kollegin Wesseler-Kühl zu. Bremen sei stolz darauf, dass alle Kinder in den Kindergärten integriert betreut würden, aber an den notwendigen Betreuungskräften werde Jahr für Jahr herumgekürzt. Der Streit auf dem Rücken der Kinder sei pädagogisch nicht zu verantworten und zudem auch widersinnig: Mit den Kosten, die der Stadt für jedes verlorene Verwaltungsgerichtsverfahren entstehen, könnte man den Zivi ein halbes Jahr lang bezahlen. Aber bisher hat auch sie nicht gehört, dass die Stadt nach den verlorenen Gerichtsverfahren in Gröpelingen einlenken wolle.Klaus Wolschner