Flackern im Leuchtturm

Wenn die Musik verklingt: Das Berliner Haus der Kulturen der Welt stellt seine Konzertreihen ein. Nahezu unbemerkt gehen in der Kongresshalle im Tiergarten damit allmählich die Lichter aus

VON DANIEL BAX

Erst war es nur ein Gerücht. Das „popdeurope“-Festival hatte mit einem Konzert des Afrobeat-Stars Femi Kuti gerade erst begonnen, da hieß es, das Haus der Kulturen der Welt wolle seine erst vor drei Jahren erfolgreich eingeführte Musikreihe wieder einstellen. Und nicht nur diese: Auch die „Transonic“-Reihe für Neue Musik sowie das „Festival of Sacred Music“ stünden auf einer hausinternen Streichliste. Mitte August bestätigte das Haus dann mit einer kargen Pressemitteilung, es werde fortan „neue Schwerpunkte“ setzen.

Damit geht eine Ära zu Ende. Einst bildete das Haus der Kulturen der Welt (HKW), im grünen Tiergarten gelegen, das Epizentrum einer Szene, in der sich die Vielstimmigkeit der Metropole spiegelte. Im benachbarten Tempodrom-Zelt wurde Ende der Achtzigerjahre die „Weltmusik“ aus der Taufe gehoben, und in den Container-Büros im Hof ging 1994 das öffentlich-rechtliche Radio Multikulti auf Sendung. An guten Tagen mischten sich damals die Mitarbeiter des Hauses mit ihrem Publikum und den Familien, die zum Grillen in den Tiergarten strömten, zu einem vielsprachigen Kontinuum.

Als die Bundesbehörden nach Berlin zogen, gab es die Befürchtung, das nunmehr im Regierungsviertel gelegene Haus werde fortan repräsentativen Zwecken gewidmet. Da hatte der neue Leiter Hans-Georg Knopp das Haus bereits auf neuen Kurs gebracht: „Internationaler Anspruch“ hieß die Devise. Die Strategie: statt wie bisher auf Breitenwirkung eher auf exklusive Ereignisse zu setzen. Von da an wuchs der Umfang der Pressemappen, mit denen das HKW seine Programme ankündigte, im umgekehrten Verhältnis zu den Besucherzahlen. Tatsächlich entfremdete sich das Haus von seinem angestammten Publikum, ohne ein neues dazugewinnen zu können. Die Berliner Zeitung unkte damals, das HKW habe sich „erfolgreich vom Publikum unabhängig gemacht“.

Als der Bund 2001 die Finanzierung des Hauses – als einem der „Leuchttürme der Hauptstadtkultur“ – übernahm, wurde der Etat kurzerhand verdoppelt. So konnte das HKW in einer Zeit, in der viele andere Kultureinrichtungen mit empfindlichen Einsparungen leben mussten, aus dem Vollen schöpfen. Es leistete sich Mega-Events wie „MexArtes“ (2002) oder „Body City“ (2003), die sich den Kunstszenen in Mittelamerika oder in Indien widmeten. Aber auch da lautete das unausgesprochene Motto: lieber weniger Publikum als das falsche.

So brachte man beim Indien-Schwerpunkt „Body City“ das Kunststück fertig, das Programm ganz ohne musikalische Farbtupfer wie Bollywood und Bhangra zu bestreiten, die gerade in aller Munde waren. Problematisch auch: Statt eigene Trends zu setzen, schaute man sie sich bei anderen ab. Um sich zeitgemäß zu geben, lud man etwa den Berliner Techno-Club WMF zum hauseigenen „In Transit“-Festival und ließ dafür im Foyer des Hauses einen kompletten Clubraum nachbauen. Doch wer ins WMF gehen wollte, der ging auch weiterhin lieber ins Original.

Ob das Haus der Kulturen der Welt damit wirklich mehr internationales Ansehen erlangt hat, ist schwer zu sagen. Jenseits der offiziösen Festivaleröffnungen herrscht in den weiten Hallen des Hauses an den meisten Tagen des Jahres jedenfalls nur kühle Leere vor. Und die türkischen Picknick-Ausflügler im Tiergarten nutzen die Kongresshalle nur noch als Klohäuschen.

Durch neue Musikfestivals wie „Transonic“, das „Festival of Sacred Music“ sowie vor allem „popdeurope“, die aus dem vor drei Jahren verdoppelten Etat ins Leben gerufen wurden, konnte das Haus zuletzt zwar wieder einen zarten Anstieg der Besucherzahlen verbuchen. Der ist durch die aktuellen Streichungen nun wieder gefährdet. Fast scheint es, als sei ausgerechnet der Erfolg von Reihen wie „popdeurope“, ein anderes und jüngeres Publikum ins Haus gelockt zu haben, der eigentliche Grund für das Aus gewesen. Hinter den Kulissen machte das Wort von der „falschen Rezeptionshaltung“ die Runde, die dem Chef ein Dorn im Auge gewesen sein soll.

Aktuelle Kürzungen von Geldern des Auswärtigen Amts boten nun den Anlass, den ungeliebten Andrang zu vermeiden. „Diese Kürzungen allein rechtfertigen einen so massiven Eingriff natürlich nicht“, gibt selbst die Pressestelle des HKW zu: Es gehe um Prioritäten. Und da liegen der Intendanz ihre ein, zwei teuren Glanzpunkte im Jahr eben mehr am Herzen als der alltägliche Betrieb. Wobei böse Zungen behaupten, die Glanzpunkte seien nur deshalb so teuer, weil die Chefetage zur Vorbereitung stets monatelang um die Welt gondelt, um sich mit Kuratoren und Künstlern zu beraten.

Bleibt die Frage, was im Haus der Kulturen der Welt zwischen den seltenen Großereignissen eigentlich noch stattfindet. Denn die Nutzungen durch das Medien-Festival „Transmediale“, geschlossene Tagungen oder den „Talent Campus“ der Berlinale entfalten keinerlei Außenwirkung für das Haus. Aber das müssen sie auch nicht: Es reicht völlig, wenn sie gehobenen Ansprüchen genügen und die Ruhe der Chefetage nicht weiter stören.

Konsequenterweise hat das HKW nun auch sein Programmheft eingestellt. Dabei ist der Verzicht auf ein kontinuierliches Veranstaltungsangebot im Haus selbst nicht unumstritten, läuft er doch auf eine allmähliche Selbstabschaffung hinaus.

Viermal erwacht das HKW nur noch aus seinem selbst gewählten Dornröschenschlaf: erstmals nächste Woche, wenn das groß angelegte „Black Atlantic“-Festival startet. Im nächsten Jahr soll es dann, neben dem Performance-Festival „In Transit“, einen Schwerpunkt zum Thema „Schönheit“ sowie ein Festival ostasiatischer Künste geben.

Dann aber gehen im Tiergarten allmählich die Lichter aus. Ausgerechnet im Sommer 2006, wenn die Fußball-WM ihren Sog entfaltet, wird die Kongresshalle zur Sanierung geschlossen.

Das gibt dem alten Verdacht neue Nahrung, die attraktive Immobilie könnte nach erfolgter Renovierung einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die aktuelle Leitung des HKW hätte dann jedenfalls jetzt schon dafür gesorgt, dass das Haus dann besenrein übergeben wird.