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Archiv-Artikel

Harmonie in der Abwehr

EU-Kommission erarbeitet Richtlinien zur Kanalisierung der Zuwanderung

Jedes Land soll auch künftig selbst bestimmen, wie viele Zuwanderer es aufnehmen will

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der für Innenpolitik und Justiz zuständige EU-Kommissar Antonio Vitorino gibt nicht auf. Beim Treffen der Innenminister Mitte des Monats in Rom versuchte er wieder einmal, den versammelten Politikern sein Einwanderungskonzept schmackhaft zu machen. Seit Beginn seiner Amtszeit im Sommer 1999 arbeitet der portugiesische Kommissar an einem Richtlinienpaket, das die Zuwanderung nach Europa kanalisieren soll.

Immer wieder hat er dafür plädiert, Asylpolitik, Familiennachzug, Wirtschaftsmigration und Abwehr illegaler Zuwanderer in Zusammenhang zu setzen. Nur wenn die Europäer bereit seien, eine bestimmte Zahl von Wirtschaftsmigranten aufzunehmen, könnten sie aktiv beeinflussen, wer ins Land gelassen wird und wer nicht. Unabdingbar sei auch, dass die Länder ihre Maßnahmen aufeinander abstimmten. Sonst würden Flüchtlinge immer versuchen, das Land mit den jeweils günstigsten Ausgangsbedingungen zu erreichen.

Vitorinos liberale Gesetzesvorschläge stießen bei mehreren Mitgliedsländern – allen voran Deutschland – auf starken Widerstand. Deshalb musste er mehrfach nachbessern. Mitte 2002 legte er einen neuen Entwurf zur Einwanderungspolitik vor, da die Mitgliedstaaten seinen ersten Text als zu großzügig empfanden. Im neuen Kommissionsentwurf ist eine Klausel enthalten, nach der Mitgliedstaaten je nach den Erfordernissen ihres nationalen Arbeitsmarktes die EU-Regeln im Alleingang einschränken können.

Beim Treffen Mitte September in Rom bekam Vitorino Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Die Italiener, die seit Beginn ihrer Ratspräsidentschaft Anfang Juli wenig dazu beitragen, dass die gemeinschaftliche Politik vorankommt, haben am Thema Einwanderung ein partikulares Interesse. 7.500 Kilometer unübersichtliche Küstengrenze sind auch mit gewaltigem Grenzschutzaufwand kaum gegen illegale Einwanderer abzuschirmen. Italien will deshalb Quoten mit den Herkunftsländern aushandeln. Eine italienische Studie über die politische Auswirkung von Quoten für albanische und tunesische Einwanderer zeigt, dass diese Länder aktiv daran mitarbeiten, illegale Auswanderer zu stoppen, seit eine bestimmte Zahl legal nach Italien einreisen darf.

Amnesty international sieht diese Entwicklung mit Sorge. Was passiert, so fragt die Menschenrechtsorganisation in einem Brief an die italienische Ratspräsidentschaft, wenn solche Abkommen demnächst mit Libyen oder anderen Ländern abgeschlossen werden, die für Menschenrechtsverletzungen berüchtigt sind?

EU-Kommissar Antonio Vitorino glaubt dennoch, dass Einwanderungsquoten die Chance bieten, die verhärteten Fronten zwischen Befürwortern der Festung Europa und Anhängern völlig offener Grenzen aufzuweichen. Seine Behörde soll bis kommenden Mai eine Studie erarbeiten, die mögliche Auswirkungen eines Quotensystems auslotet. Darauf einigten sich die Innenminister einstimmig. Otto Schily betonte allerdings vorsorglich, dass er sich von Brüssel keine Einwanderungsquoten diktieren lassen werde. „Es kann nicht sein, dass die Kommission am Ende entscheidet, wie viele Menschen wir in unser Land einladen müssen“, sagte er nach dem Ministertreffen in Rom.

Das wollen auch die Italiener nicht. Jedes Land soll auch künftig selbst bestimmen, wie viele Zuwanderer es aufnehmen will. Wenn die Mitgliedsländer aber ihre Quoten nach Brüssel melden, können die Daten dort gesammelt und gegenüber den Herkunftsländern geltend gemacht werden. Das könnte die Verhandlungen über Rücknahme-Abkommen erleichtern.

Dass die Festung Europa dennoch ziemlich uneinnehmbar bleiben wird, zeigen weitere Pläne der italienischen Präsidentschaft. Innenminister Giuseppe Pisanu kündigte an, dass der Grenzschutz der EU-Mitglieder künftig besser aufeinander abgestimmt werden soll. Schon jetzt werden die Grenzschützer für die Landesgrenzen Richtung Osten von Berlin aus koordiniert.

Diese Aufgabe will künftig Italien für den Luftverkehr und Spanien und Griechenland für die Küstengrenzen übernehmen. Damit solle den Schleppern, die jährlich Milliarden am Menschenhandel verdienten, das Handwerk gelegt werden, sagte Pisanu. Experten schätzen, dass jährlich rund 500.000 Menschen illegal in den so genannten Schengenraum einreisen.