: Die große Stagnation
Die Vorschläge von Roland Koch und Peer Steinbrück zeigen vor allem eins: Auch eine große Koalition kann die anstehenden Probleme nicht besser lösen als Rot-Grün
Nun ist es also zu besichtigen, das zweite Ergebnis der großen Koalition aus CDU und SPD. Eine Woche nachdem das Gesundheitsreförmchen von Horst Seehofer und Ulla Schmidt den Bundestag passiert hat, haben die Ministerpräsidenten Roland Koch und Peer Steinbrück Vorschläge zum Subventionsabbau präsentiert. Das Ergebnis ist außerordentlich bescheiden: Die Pendlerpauschale soll bis 2006 von 36 auf 35 Cent pro Kilometer gesenkt werden, die Eigenheimzulage im gleichen Zeitraum von 2.520 auf 2.250 Euro pro Jahr.
Beim Abbau der Steinkohlesubventionen will man das Tempo ab 2006 deutlich drosseln. Die Extrabehandlung der Industrie im Rahmen der Ökosteuer – immerhin fast 4 Milliarden Euro teuer und von der EU-Kommission kritisch beäugt – bleibt auf Wunsch von Koch sogar unangetastet. Und im Gegenzug erklärt Steinbrück die Steuerprivilegien für Nacht- und Feiertagsarbeit zum Tabu, als sei es Aufgabe des Staates, diese Form belastender Arbeit zu fördern.
All das bedeutet, dass der Steuerzahler auch in Zukunft die Bauwirtschaft, das Pendeln, die Kohleförderung und den Energieverbrauch der Industrie mit über 20 Milliarden Euro jährlich subventioniert. Was könnte man mit diesem Geld alles anstellen! Man könnte es in Bildung, Forschung und Ganztagsschulen stecken; man könnte die ökologische Modernisierung vorantreiben und die öffentlichen Infrastrukturen wieder in Ordnung bringen; man könnte auch einfach die Steuern senken.
Über diese Frage würde der politische Streit zwischen Links und Rechts, Keynesianern und Ordoliberalen wirklich lohnen. Zu welcher alternativen Mittelverwendung man auch käme, fast jede wäre struktur- und konjunkturpolitisch sinnvoller als das Zusammenkratzen von Kleckerbeträgen, wie es Koch und Steinbrück vormachen. Ihre Vorschläge verkaufen sie als große Reform – und bestätigen lediglich den Status quo. Weniger Mut zur Ordnungspolitik gab es nie.
Das Grundmuster der so genannten Gesundheitsreform wiederholt sich auch bei den Vorschlägen zum Subventionsabbau: Wirkliche Strukturveränderungen unterbleiben, weil bei den großen Parteien echter Kampfeswille gegenüber den Lobbys fehlt. Stattdessen soll jedem ein wenig zugemutet werden, ohne allzu viel zu ändern. Man glaubt, so hätte es der Bürger am liebsten. Was kurzfristig vielleicht sogar stimmen mag.
Aber kaum ist die vermeintliche Reform verkündet, da heißt es auch schon wieder: Wir wissen, dass das Ganze nicht ausreicht und später weiter gehende Schritte folgen müssen. Der Verweis auf übermorgen soll die Unzulänglichkeit heutigen Tuns (oder besser: Unterlassens) kaschieren. Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen entsteht so ganz sicher nicht, weil sich jeder fragt: Was kommt denn wohl als Nächstes? Das größte Lob, das man dieser Kombination aus Minireformen und Verweisen auf zukünftige Notwendigkeiten machen kann, ist die Feststellung, dass sich immerhin irgendetwas bewegt.
Fragt sich nur, in welche Richtung die Bewegung geht? Aus einer Perspektive der nachhaltigen Entwicklung führt die Mehrzahl der Koch-Steinbrück’schen Vorschläge jedenfalls in die Irre. Besonders deutlich wird das bei der Eigenheimzulage und der Pendlerpauschale, die Bund, Länder und Gemeinden derzeit etwa 17 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Obwohl Deutschlands Innenstädte vielerorts veröden und täglich 130 Hektar neu versiegelt werden, soll der Neubau eines Hauses auch in Zukunft doppelt so hoch subventioniert werden wie der Kauf eines Altbaus. Und obwohl zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben, dass die Pendlerpauschale Stadtflucht begünstigt und faktisch einer Zersiedlungsprämie gleichkommt, soll sie auf hohem Niveau verbleiben. Statt Anreize zum Freiflächenschutz, zur Altbausanierung oder zur Anschaffung verbrauchsarmer Fahrzeuge zu geben, wird die ökologische Dimension von Koch und Steinbrück schlicht ausgeblendet. Statt einer Orientierung am Dreieck der Nachhaltigkeit, also der Verbindung sozialer, ökologischer und ökonomischer Ziele, dominiert das alte eindimensionale Denken. Für Klimaschutz und Naturschutz ist kein Platz in der großen Koalition der Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Was heißt das für Rot-Grün in Berlin? Drei Antworten drängen sich auf:
Erstens, man kann die Rasenmähermethode von Koch und Steinbrück als Minimalkonsens akzeptieren. Aber für die umwelt- und strukturpolitisch besonders schädlichen Subventionen wie Pendlerpauschale und Eigenheimzulage haben die Regierung und die Koalitionsfraktionen bessere Vorschläge gemacht, die auch Länder und Gemeinden wesentlich stärker entlasten würden. Die Pendlerpauschale wird im rot-grünen Modell von 36 auf 15 Cent pro Kilometer gesenkt; die Eigenheimzulage wird abgeschafft, und die eingesparten Mittel werden zu einem Viertel für Zwecke der Städtebau- und Familienförderung verwendet.
Zweitens, das Werben für den Ab- und Umbau von Subventionen muss endlich inhaltlich begründet werden. Mit dem bloßen Verweis auf die Notwendigkeiten der Haushaltskonsolidierung lässt sich niemand überzeugen. Es ist viel stärker in den Vordergrund zu rücken, welchem Zweck die ganze Operation dient, wofür das Geld dauerhaft „freigeschaufelt“ werden soll. Es geht nicht nur um das Vorziehen der Steuerreform um ein Jahr. Das ist eher nebensächlich und wird auch konjunkturell nicht viel bewirken. Es geht vor allem um mehr Geld für Bildung, Forschung, ökologische Innovationen und eine kinderfreundliche Gesellschaft.
Drittens, wer glaubwürdig gegen die Subventionitis ankämpfen will, muss auch kritisch auf die eigenen Lieblingsfelder schauen. Zwar sind die Attacken auf die Förderung von Windenergie oder ökologischem Landbau maßlos. Auch kann man ihnen leicht mit dem Argument begegnen, solange fossile Energien und industrielle Landwirtschaft derart hoch subventioniert würden wie heute, sei solcherlei Förderung auf jeden Fall gerechtfertigt. Aber dennoch bleibt auch für die eigenen Ziele das Argument richtig, dass Subventionen zeitlich zu befristen und schrittweise abzuschmelzen sind. Jede Verlängerung ist zu begründen und gegenüber dem Steuerzahler zu rechtfertigen.
Die zaghafte Gesundheitsreform und die dürftigen Vorschläge der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück haben eines ganz deutlich gezeigt: Die These, dass die Lösung großer Probleme einer großen Koalition bedürfe, ist wenig einleuchtend. Rot-Grün muss jetzt die richtige Balance finden zwischen eigenem Profil und der Kooperation mit der Union im Bundesrat. Die große Koalition steht in Wahrheit für die große Stagnation.
REINHARD LOSKE