„Was die sagen, müssen wir kaufen“

Die Lernmittelfreiheit wird erst 2005 abgeschafft, doch Schule kostet heute schon viel Geld. Trotzdem hat die Sozialbehörde die Schulpauschale von 31 auf 21 Euro pro Jahr und Kind gekürzt. Drei Mütter von insgesamt 12 Kindern berichten

Statt einen neuen Schulranzen zu kaufen, wird der alte Rucksack des Onkels geflickt

von Kaija Kutter

In Flur unter einem Tisch des Stadtteilcafés steht ein alter Schulranzen. Ein Nachbar hat ihn abgegeben, ob ihn einer braucht. „Oh, ja, das könnte gehen“, sagt Sara B., die mit 31 Jahren noch recht junge Mutter von fünf Schulkindern im Alter von sechs bis 14 Jahren. „Ich hatte einen billigen Ranzen bei Woolworth gekauft“, berichtet sie. „Der kostete nur 15 Euro, aber ging nach vier Monaten kaputt.“

Erfreut betrachtet sie das lilafarbene Gepäckstück, entdeckt aber an der Vordertasche ausgefranste Löcher. „Nein. Das geht nicht. Die Kinder weinen, wenn sie damit zur Schule müssen“.

Hefte, Federtaschen, Zirkel, Anspitzer, immer wieder neue Buntstifte, Prittstifte, Pelikantuschkasten, Uhu und Schnellhefter in den gewünschten Farben, schon in den Sommerferien hatte sie begonnen, die nötigen Materialien für die Schulstart ihrer Kinder zusammenzukaufen. Doch in diesem Schuljahr, berichtet sie, kämen Kosten für Arbeitshefte und anderes unbedingt notwendiges Unterrichtsmaterial hinzu. „Alles, was die sagen, müssen wir kaufen.“

Am teuersten wurde es für den 12-jährigen Sohn Jaju, dank eines 20 Euro teuren Theaterbesuchs und diverser Buch- und Kopierkosten müsse sie für ihn „schon ohne die Klassenkasse“ 50 Euro zahlen. Doch auch für die übrigen vier Kinder verschwanden für Kopierpauschalen, Arbeitsbücher und die obligatorische Klassenkasse zwischen 23 und 35 Euro aus der klammen Familienkasse. Sara hat einen behinderten Mann und lebt von Sozialhilfe. Bei ihr wiederum wurde seit Schuljahr 2004 die Schulpauschale pro Kind von 31 auf 21 Euro gekürzt. Allein für Schulanfänger gibt es einmalig 77 Euro.

„Mit dieser Summe kommt man niemals aus“, pflichtet Tülin T. ihrer Freundin bei, die ebenfalls 55 Euro für ihren Sohn in der 5. Klasse bezahlen soll. 10 Euro als Pauschale für Kopien, 20 Euro für einen Atlas und noch einmal 10 Euro für Klassenkasse und Projektwoche. Und weil die Lehrerin den Sohn immer wieder daran „erinnerte“ und dieser schon ganz verzweifelt war, zahlte sie schließlich auch 15 Euro für an den freiwilligen Schulverein. Ein neuer Ranzen ist in Klasse 5 eigentlich auch fällig, doch hier improvisierte Tülin, indem sie den von ihrem Bruder geerbten East-Pack-Rucksack flickte. Wenigstens für den Atlas hatte die Mutter aber beim Sozialamt Lokstedt die Kostenübernahme beantragt und eine Ablehnung erhalten. Mit der Pauschale von 21 Euro, so heißt es, seien „alle im Schuljahr anfallenden Kosten abgegolten“.

Auch Safia B. hat fünf Kinder von denen vier schon zur Schule gehen, für die sie zusammen 84 Euro Schulpauschale bekommt, denen rund 220 Euro für Kopierkosten, Spanischbücher und Klassenkasse gegenüberstehen. „Wenn die jetzt noch die Schülerfahrkarten streichen, weiß ich nicht mal, wie meine Tochter zu Schule kommen soll“, berichtet sie entnervt.

Die Mütter, die in einem sozialen Brennpunkt in Hamburgs Norden leben, spüren die Politik des Senats an vielen Punkten. Weil das Sozialticket gestrichen wurde, kostet die HVV-Monatskarte jetzt mindestens 40 Euro. Auch scheut die Stadt nicht davor zurück, eine Mutter von fünf Kindern zur Arbeit aufzufordern.

Doch die Kostenexplosion an der Schulfront, die hier Chancengleichheit ernsthaft gefährdet, führen Sozialarbeiter auf das genau gegenläufige Agieren zweier Behörden zurück. Während Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) mal wieder eine Hilfe auf das angeblich „gerechte Maß“ zurechtstutzte, kürzte Senatskollegin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) die Lernmittel der Schulen um 1,25 Millionen Euro. Dies führte beispielsweise an einem Altonaer Gymnasium dazu, dass Eltern der 5. Klassen zwischen 63 und 109 Euro allein für die Anschaffungen bis Dezember bezahlen müssen.

Doch die Sozialbehörde sieht auch angesichts solcher Zahlen keinen Handlungsbedarf. „Es gibt keine zusätzliche Sozialhilfe, weil die Lernmittelfreiheit noch gar nicht abgeschafft ist“, sagt Behördensprecher Oliver Kleßmann. Und weil auch ein Atlas „eindeutig unter die Lernmittelfreiheit fällt“, sei dieser eben nicht vom Sozialamt zu zahlen.