: Den Aufschwung erwarten
Eine Effizienz-Welt, so wüst und leer wie besenrein gekehrte Räume: Kathrin Rögglas Theatertext „wir schlafen nicht“ wird in Berlin aufgeführt. Passenderweise in 13.000 Quadratmeter Leerstand
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Aus dem Herzen der Finsternis: Mitten in die Intrigen einer Unternehmensberatung führt Kathrin Rögglas Text „wir schlafen nicht“, den die Autorin dieses Frühjahr als Roman und als Theaterstück herausgebracht hat. Vorausgegangen sind Interviews mit Consultants, Coaches und Praktikanten in Beratungsfirmen. Geblieben ist der Sprache der Duktus der Selbstverteidigung: Sie sind die, auf die alle mit dem Finger zeigen. Jetzt sagen sie einmal, wie es wirklich ist – und dann bestätigen sie alle die Klischees, die man von ihnen hat. Langweilig wird das dennoch nicht: Denn die indirekte Redeweise, mit der Rögglas Figuren von sich selbst in der dritten Person reden, erzeugt eine ständige Erwartungshaltung. Als müsste sich der Spalt zwischen Text und Textträger, Funktion und Funktionsträger endlich öffnen.
Von dieser Spannung lebt auch die Inszenierung des jungen Berliner Regisseurs Jörg Giese, der Rögglas Text in einer eigener Fassung und als eigene Produktion herausbrachte. Der Aufführungsort passt zum Geschehen: ein leer stehender Gewerbehof in Mitte, 13.000 Quadratmeter, die auf den Aufschwung warten. Die Mittel der Inszenierung sind sparsam: Neonröhren auf dem Boden, für jeden der sechs Schauspieler ein Bürostuhl. Wenn sie nach und nach verschwinden, als ob der Sog der leeren Räume sie verschlucken würde, erscheint das nur logisch: wie ein Gleichnis für die effizient eingesparten Stellen und die Abschusslisten, von denen ständig die Rede ist.
Je weiter sich die Textflächen ausbreiten, desto deutlicher tritt aus ihnen der Schrumpfungsprozess der Wahrnehmung hervor, der die Figuren begleitet. Die Welt wird ihnen so wüst und leer wie die besenrein ausgekehrten Räume. Arbeit ist in ihrer Sprache zu einem selbstreferenziellen System geworden. Privatleben, Freundschaften, Kinder – ferne Schemen hinter dem Horizont. Am Ende können sie zwischen Leere und Fülle so wenig unterscheiden wie zwischen Sinn und Unsinn und führen sich selbst als Sprachmaschinen vor, die vor sich hin rattern.
Sieht so die Elite aus? Oder nicht eher doch arme Schweine? Am Anfang, klar, da sieht man sie in ihrer Arroganz noch irgendwie oben; wenn sie sich zum Beispiel für ihre Menschlichkeit brüsten, für die Offenheit gegenüber Problemen und Betriebsklima – und dann tatsächlich behaupten, das in einem Gespräch mit dem Taxifahrer abgeleistet zu haben. Aber die Frage, ob sie Herrschende sind oder Beherrschte, ist bald nicht mehr zu beantworten. Ja/nein-Entscheidungen werden zunehmend ausgeschlossen. Dabei besteht gerade ihr Leben, wenn man ihren Worten glauben darf, zum größten Teil in der Leistung, Ja/nein-Entscheidungen vorzubereiten.
Die Schauspieler, denkt man manchmal, sind zu weich für diese Rollen, eher der Typ der fest an ihrem verbindlichen Lächeln festhaltenden Sekretärin als der Key-Account-Managerin. Aber das ist vielleicht der Irrtum, dass man die Härte ihrer Entscheidungen mit persönlichen Eigenschaften verwechselt. Ihre Eigenschaftslosigkeit wird den Figuren selber unheimlich – sie belauern sich schließlich wie Gespenster, die nur noch das Ablaufdatum der Ideen des anderen interessiert.
Die Sprache des Managements, die Floskeln der Effizienz, das Trainingsvokabular des Coaching haben es in letzter Zeit vielen Theaterautoren angetan. Rolf Hochhuth hat sich an McKinsey abgearbeitet und Lutz Hübner am Bankenskandal in Berlin. Falk Richter hat an der Schaubühne einen ganzen Zyklus der Logik des Kapitals gewidmet. Die Sprache der Ökonomisierung aber wirkte dabei oft wie ihre eigene zynische Karikatur, der mit den herkömmlichen Instrumenten der Kritik nicht mehr beizukommen ist.
„wir schlafen nicht“ dagegen gelingt es ganz langsam, fast in jener übermüdeten Anspannung, die zwischen Schlaf und Wachheit nicht mehr unterscheiden kann, unter die Oberfläche der Sprachhaut zu gleiten. Es ist nicht ausgemacht, ob sich darunter noch etwas anderes finden lässt, wie Wahrheit oder Menschsein, oder nicht nur eine Bewegung des Verschwindens. Zumindest in dieser Inszenierung.
„wir schlafen nicht“, in den Josetti-Höfen, Rungestr. 22–24, 11. + 12. September, 16.–19. September, 20 Uhr, Kartenbestellung (01 70) 8 72 73 10