Eichel: Miese wachsen weiter

Finanzminister gibt zu, dass die nach Brüssel gemeldete Defizitquote von 3,8 Prozent noch untertrieben ist. „Spiegel“: Bund wird 41 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen

BERLIN rtr ■ Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat eingeräumt, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr die nach Brüssel gemeldete Defizitquote von 3,8 Prozent noch übersteigen könnte. „Es kann sein, dass das noch etwas mehr wird“, sagte Eichel gestern Morgen im Hessischen Rundfunk. „Das wird man sehen, wenn wir die Steuerschätzung im November haben. Es kann sein, dass wir die Daten für Wachstum und Steuereinnahmen im Herbst noch einmal nach unten korrigieren müssen.“

Im August hätten sich die Steuereinnahmen im Gegensatz zum ersten Halbjahr nicht gut entwickelt, hob Eichel hervor. Ob dies nur ein „kleines Zwischentief“ sei oder einen Trend anzeige, wisse er erst in einigen Tagen, wenn die Zahlen für den September vorlägen.

Ein Sprecher Eichels hatte vergangene Woche erklärt, die gesamtstaatliche Neuverschuldung 2003 werde voraussichtlich zwischen 60 und 70 Milliarden Euro liegen. Nach einem Bericht des Spiegels wird allein das Defizit des Bundes auf die Rekordhöhe von 41 Milliarden Euro steigen. Den bisherigen Rekord stellte Exfinanzminster Theo Waigel 1996 auf, als er 40 Milliarden Euro Schulden aufnahm.

Eichels Sprecher nannte dies gestern „gegenwärtig reine Spekulation“. Es sei allerdings nach wie vor davon auszugehen, dass sich die Neuverschuldung des Bundes im Vergleich zur ursprünglich veranschlagten Summe von 18,9 Milliarden Euro „etwas mehr als verdoppeln“ werde.

Angesichts der angespannten Haushaltssituation stellte Eichel klar, dass er ohne Schritte zur Konsolidierung der Lage sowie zur Sanierung der sozialen Sicherungssysteme die letzte Stufe der Steuerreform nicht vorziehen werde. Der SPD-Minister forderte die Union auf, einem Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen in großem Umfang zuzustimmen, um die Steuerpläne gegenzufinanzieren. Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) erklärte dazu, die Diskussion über die Neuverschuldung zeige, dass Eichel die Kontrolle über den Haushalt vollständig verloren habe.

Ende August hatte das Finanzministerium mitgeteilt, die deutsche Defizitquote – der Anteil der Neuverschuldung von Bund, Ländern und Sozialkassen am Bruttoinlandsprodukt – werde 2003 bei 3,8 Prozent liegen. Nach dem EU-Vertrag von Maastricht sind jedoch nur 3 Prozent zugelassen. Deutschland überschreitet damit die Obergrenze das zweite Jahr in Folge und läuft Gefahr, dies auch 2004 zu tun.

Die öffentlichen Haushalte sind durch das schwache Wirtschaftswachstum und die wachsende Arbeitslosigkeit stark belastet. Steigenden Kosten für Arbeitslosenversicherung und andere Sozialausgaben stehen stagnierende oder sinkende Steuereinnahmen gegenüber. Volkswirte halten die Regierungsprognose von 0,75 Prozent Wachstum 2003 für illusorisch.

Neben Deutschland verstößt auch Frankreich weiter gegen das europäische Defizitkriterium. Die französische Regierung hatte kürzlich den Haushalt für 2004 vorgelegt, bei dem das Defizit des dritte Jahr in Folge die 3-Prozent-Grenze überschreitet. Die Ankündigung hatte für erheblichen Unmut in der EU-Kommission und den kleineren Mitgliedsstaaten gesorgt. Laut Stabilitätspakt drohen Frankreich nun Strafen.